Alles Ware - Glanz und Elend der Kommerzkultur
ohnehin kann man solch eine Frage nicht definitiv beantworten, sondern nur auf Basis der
eigenen politischen oder moralischen Präferenzen). Er macht sie natürlich in vieler Hinsicht bunter und lebenswerter, ja er
macht sie in mancher Hinsicht auch gerechter. Die Auflösung fester sozialer Milieus und hart voneinander abgegrenzter sozialer
Schichten in fluidere Lifestyle-Communities ist wohl auch dann noch als Freiheitsgewinn und Zuwachs an Ausdrucksmöglichkeiten,
aber auch als Entschärfung von Klassendünkelei zu bilanzieren, wenn man die neuen Ungleichheiten, die der Kulturkapitalismus
einzieht, nicht übersieht. Dass die Codes und Stile der Unterschichten und Beherrschten in den modischen Fundus der Massenkultur
aufzusteigen vermögen, gehört ebenso in dieses Bild. Auch der Aufstieg der Künstlertugenden zum Leitbild für die neuen Arbeitnehmer
und die Creative Classes gibt vielen Menschen die Möglichkeit |184| zu einem erfüllteren, kreativeren Erwerbsleben. Der Zuwachs an Erlebnisangeboten erweitert den Radius unserer Lebenswelten.
Dass man für diese Erlebnisse mit barer Münze bezahlen muss, ist zwar eine Tatsache, die Ungleichheiten nicht abbaut, aber
auch nicht notwendigerweise verschärft – selbst die materiell schlecht Gestellten sind in der Regel nicht völlig aus dem konsumistischen
Universum exkludiert (einerseits weil der westliche Wohlfahrtsstaat ein Minimum an Teilhabe garantiert, andererseits weil
der Kommerzkapitalismus auf ihre Konsumnachfrage nicht vollends verzichten will, drittens weil die unteren Schichten in der
Massendemokratie ein entscheidendes Wählerreservoir darstellen). Dass heute Konzerne, weil sie Image verkaufen, eben auch
auf ihr gutes Image bedacht sein müssen, bietet sogar Möglichkeiten, diese Unternehmen zu ethischem Wirtschaften zu zwingen.
Andererseits haben wir jedoch gesehen, dass selbst das, was die Welt bunter macht, seine Schattenseiten hat. Die Freiheitskultur
des postfordistischen Kapitalismus ist ein starker Motor für Ungleichheiten. Es ist kein Zufall, dass heute 59 Prozent der
Weltbevölkerung in Gesellschaften mit zunehmender Ungleichheit leben und bloß 5 Prozent in Ländern mit abnehmender Ungleichheit. 169 Und mit der Totalökonomisierung entstehen zwar konsumierbare Angebote – also Optionen –, aber um den Preis, dass andere Optionen
vernichtet werden. Es gibt vielleicht eine größere Vielfalt und mehr Wahlmöglichkeiten, aber um den Preis der Fragmentierung
und der Unterordnung unter die Warenform. Wir sehen es unseren Innenstädten an, die immer mehr zu Konsumzonen werden. Der
Raum ist verstellt mit kommerzialisierten Erlebnisangeboten, die konsumiert werden können, und der Raum wird eng für nichtkommerzielle
Erfahrungen, die der Einzelne nicht vorgefertigt präsentiert bekommt, sondern selbst zu ge stalten |185| und zu steuern vermag. Umgangssprachlich, also philosophisch unpräzise, würde man in der Regel formulieren: Alles wird kommerzieller
und künstlicher, für das Echte ist kein Platz mehr. Alles ist in einem solch hohen Grade vorbestimmt, dass die Menschen am
Ende ziemlich fremdbestimmt sind.
Früher nannte man das wohl Kunst am Bau.
Werbung an einer eingerüsteten Fassade
Vielleicht aber ist die Frage, ob der Konsumkapitalismus die Welt besser oder schlechter macht, auch einfach die falsche Frage.
Zielführender ist es, erst einmal zu fragen, wie der Konsumkapitalismus überhaupt noch kritisiert werden kann. Den leeren
Platz, von dem aus der Kritiker sprechen könnte, gibt es schließlich nicht. Mit der Universalisierung der Konsumkultur wird
auch das scheinbar »Echte« zum konsumierbaren Artefakt, der demonstrative Nicht-Konsum zu einer Art von Lifestyle und selbst |186| die kritische Pose zu einer Haltung unter vielen, aus denen man nach Lust und Laune auswählen kann. Kritik am Kulturkapitalismus
müsste also nicht das »Echte« gegen das »Künstliche« ins Treffen führen, sondern dartun können, warum manches Künstliche anderem
Künstlichen vorzuziehen ist. Zunächst könnte schon als bemerkenswert gelten, dass der Kulturkapitalismus die Welt nicht merkbar
besser macht, hätte man doch auch denken können, dass die Hybridisierung der Geschäftswelt und ihres nackten, baren Gewinnstrebens
mit »Kultur« und »Wer ten « diese aus ihrer moralischen Niedrigkeit erhebt. Aber mit der Kannibalisierung außerökonomischer Werte wird doch recht eigentlich
die Ökonomie
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