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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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für Atemzug. Beide lauschten sie auf diesen Körper, lauschten, wie die lautlosen Medikamente
ihren lautlosen Dienst verrichteten, und die Delle an der Seite ihrer Brust war das Größte im Zimmer.
    Catherine musste an einen Schwarm Bienen denken; der Krebs im Körper ihrer Mutter wurde ausgeräuchert, um sich als schläfrige Masse in ihrer Achselhöhle festzusetzen. Wenn sie diese doch nur herausheben und wegtragen könnte wie ein Imker seine Bienen, und keine einzige bliebe zurück.
    Wenn Catherine abends im Sessel döste, streckte sich mitunter eine Hand nach ihr aus und erschreckte sie. Sie berührte ihren Arm oder ihr Gesicht, und hinter der Hand die Stimme ihrer Mutter, die sagte: »Geh nach Hause, Kitty-Schatz. Geh nach Hause zu deinem Mann.«
     
    Seit dieser Zeit war Tom der perfekte Ehemann geworden, wie traurig; der Kühlschrank war immer gefüllt, im Wäschekorb lagen saubere T-Shirts, und wenn geschwiegen werden musste, schwieg er. Aber Catherine wusste, dass er, sobald das Licht gelöscht war, die Kluft zwischen ihnen überbrücken und zu ihr eilen würde, um sie zu trösten, mit Händen und Mund, mit seinem ganzen großen körperlichen Selbst.
    »Bitte nicht«, sagte sie dann. »Bitte bring mich nicht zum Weinen.«
    Die Monate schleppten sich dahin, und sie sagte ihm, sie habe das Gefühl, als fehle ihr da unten etwas – eine Vorrichtung, eine Dichtung oder ein Schalter, den sie umlegen könnte. Was sie ihm nicht sagte, wenn er sie streichelte: dass sie das Gefühl hatte, unter seinen Händen blättere ihre Haut von ihr ab.

    Und so hatten sie hin und wieder Sex – nicht oft – oder blafften sich an oder redeten nicht miteinander. Währenddessen wurde Catherines Mutter entlassen, ohne dass von einer Wiederaufnahme die Rede gewesen wäre, und die Arbeit ging zögernd weiter, abgestimmt auf den Zeitplan von Haushaltshilfen und Nachbarn.
    Das Verrückteste war, dass sie zu dem Schluss kam, ihrer Mutter müsse es besser gehen, da sie doch aus dem Krankenhaus entlassen war: wie sie, sehr bewusst und sehr gezielt, dachte, dass es ihrer Mutter, auch wenn sie nicht geheilt war – auch wenn ihre Tage in Wahrheit gezählt waren -, in vieler Hinsicht sehr, sehr viel besser ging. Natürlich ging es ihr besser. Sie war wieder zu Hause.
    Mitten in dieser seltsam unwirklichen Zeit rief Phil Brogan an. Im Mai müsse er einen Kunden zu einer Konferenz in Killarney begleiten. Ob sie mitkommen wolle? Ob sie das wirklich ausschlagen könne? Das Hotel sei richtig nobel. Sie solle es als Geschenk betrachten. Als gäbe es ihre weihnachtliche Flasche Brandy in diesem Jahr einfach früher.
    »Einen Augenblick«, sagte Catherine und sah in ihrem Terminkalender nach. Wenn es ihrer Mutter bis Mai etwas besser ginge, konnte sie fahren. Oder auch, wenn ihre Mutter bis Ende April gestorben wäre. Wenn ihre Mutter jedoch genau in diesen vier Tagen im Mai mit dem Tod rang, konnte sie nicht mit. Da sie ihre Mutter liebte, kam nur eine Antwort in Frage: »Ja. Kein Problem. Danke.« Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, um darüber nachzudenken, ob sie sich eine Konferenz in Killarney wirklich antun sollte.

    In den folgenden vier Wochen wurden die Schmerzen ihrer Mutter unerträglich, und bei einem Gespräch mit ihrem Hausarzt begriff Catherine, dass sie um ein Bett in einem Hospiz würde betteln müssen. Nachdem sie die Vorstellung, dass ihre Mutter sterben würde, erst einmal akzeptiert hatte, konnte sie die Warterei nicht ertragen. Im Hospiz durfte man doch nicht so lange dahinsiechen – wer blockierte all die Betten? Raus mit euch, rief sie innerlich. Raus mit euch!
    Nachts schliefen sie und ihre Schwester abwechselnd im Gästezimmer ihrer Mutter, neben sich ein Regal voller Medikamente und eine Liste mit Einnahmezeiten und Verabreichungsmengen, die sie immer wieder überprüften und ergänzten, bis nichts mehr zu entziffern war. Wenn Catherine ihre Mutter umbettete, um das besudelte Laken zu wechseln, oder sie ausschalt, während sie versuchte, ihr eine Spritze in den Oberschenkel zu geben, hielt sie sich mit einer seltsamen Fantasie über Wasser – wie in einem schlechten Kostümfilm ritt sie, Phil Brogan im Schlepptau, durch die Seenlandschaft von Killarney. Manchmal stiegen sie ab und gingen schwimmen. Manchmal rasteten sie unter dem Blätterdach einer Eiche.
    Und dann das Hospiz. Großzügig teilten die Ärzte Infusionen und Spritzen aus – eines Tages befand sich Catherines Mutter im Morphiumrausch, saß aufrecht im

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