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Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
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vielleicht hätte auch sie ihn lieben sollen. Vielleicht hätte sie es versuchen sollen.
    Der Junge setzt sich, um einen Gummistiefel auszuziehen, und der Anblick seiner nackten Ferse, eine rote Blüte auf Weiß, macht ihm Lust auf etwas.

Honig
    Als sie versuchte, darüber nachzudenken, wie sie aussahen, diese Frauen, die auf Weinempfängen vor ihm standen, an seinem Schreibtisch oder an seiner Bürotür, fiel ihr nichts Treffenderes ein als »pudelnass«. Sie standen mit leicht vom Körper abgespreizten Armen herum, als ob Wasser von ihren Fingern tropfte. So wie sich Kinder die Prinzessin auf der Erbse vorstellen, wenn sie draußen vor dem Stadttor steht und das Wasser ihr vom Haar und von den Kleidern herunterläuft, in die Schnäbel der Schuhe hinein und an den Hacken wieder heraus.
    Natürlich gingen da auch noch andere Dinge vor sich – Gerede, Gelächter oder die Art, wie sie die Augen verdrehten, doch nichts davon war so bemerkenswert wie diese angestrengte Starre; wie sie auf seiner Türschwelle standen, ihm schnell ein Schriftstück auf den Schreibtisch legten oder im Pulk sein Geplauder unterbrachen, um wortlos zu signalisieren: »Fick mich noch mal. Du musst. Du musst mich noch mal ficken.« Denn das war es doch, was hier abging – oder was abgegangen war und vermutlich keine Fortsetzung mehr finden würde.
    Es war, gelinde gesagt, schlecht fürs Geschäft. Schließlich war Catherine eine Kundin – aber diese Frauen
ignorierten sie; sie wollten einfach nicht den Kopf zu ihr umdrehen, um sich vorstellen zu lassen. Und sie fühlte sich ins Abseits gedrängt: »Du darfst nicht mit ihr reden, wer auch immer sie ist. Fick lieber mich. Auf der Stelle. Wann du willst.«
    In den paar Jahren, seit sie zum ersten Mal mit ihm zu tun gehabt hatte, war es drei-, vielleicht viermal passiert. Meist amüsierte es Catherine, obwohl sie das Benehmen der Frauen wirklich sehr unhöflich fand. Jede von ihnen so schön und unverwechselbar. Natürlich hielten sie sich nicht lange. Sie hätte sich stellvertretend für sie gekränkt fühlen können – wegen der Art und Weise, wie sie aufs Abstellgleis geschoben wurden, während er seinen Weg nach oben fortsetzte -, wäre da nicht der unverhohlene, fast übersteigerte Ehrgeiz dieser Frauen gewesen. Catherine hatte noch nie in ihrem Leben um eines Vorteils willen mit jemandem geschlafen. Wenn man es überhaupt Vorteil nennen konnte.
    Sie fragte sich, ob ihr vielleicht etwas fehlte. Neben ihnen kam sie sich so gewöhnlich vor, so altmodisch und intellektuell. Ihrem Empfinden nach lag zu viel Lüsternheit in der Art, wie er sie fixierte und in der Bedachtsamkeit, mit der er seine Worte wählte, ehe er sich dann ihr zuwandte und sagte: »Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie. Wo waren wir stehen geblieben?«
    Phil Brogan. Eins achtzig, oder doch fast. Um die vierzig. Eine Sexmaschine.
    Eigentlich mochte sie ihn. Klug, ruhelos und stets einfühlsam – in gewisser Weise gar kein richtiger Mann. Und es war ja nicht so, als ob er verheiratet gewesen wäre,
sagte sie zu ihrem Partner Tom, warum also nicht? Es kursierte eine Geschichte über einen Büroschrank, die sie zwar nicht glaubte, die aber etwas über seine Spontaneität aussagte. Sie nahm an, dass es das war, was die Frauen in Fahrt brachte. Obwohl sie nicht wusste, was an ihm so toll sein sollte, dass sie immer wieder angerannt kamen und mehr wollten.
    »Ein großer Schwanz«, sagte Tom.
    »Meinst du?«, fragte sie.
    »Absolut.«
    Catherines Mutter war todkrank, viel zu früh und mit viel zu großen Schmerzen. Krebs. Nun gab es neben all den Telefonaten und der Fahrerei also auch noch dieses Muttergehabe, soll heißen: zu viel Gejammer und zu viel Liebe. Vier Monate nach einer verspäteten Diagnose musste sie sich einer Chemotherapie unterziehen, und bis zum Ende blieb ihr nur noch eine unbekannte Anzahl Wochen, Monate oder Jahre. Ihre Mutter war so geschwächt, dass sie jedes Mal, wenn Catherine um eine Ecke bog, gegen die Autotür taumelte, und wenn sie bremsten, verhinderte nur der Sicherheitsgurt, dass sie mit dem Gesicht auf das Armaturenbrett fiel. Und ständig hatte sie zu nörgeln. Mal fuhr Catherine zu schnell, mal fuhr Catherine zu langsam, sie wollte eine Zigarette, sie fragte, was gegen Stöckelschuhe einzuwenden sei, wann würde Catherine bessere Laune haben, wann eine anständige Frisur?
    Aber im Krankenhaus herrschte ein solcher Friede, wenn die Schmerzmittel wirkten: ihre Mutter neben ihr am Leben – Atemzug

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