Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
beschäftigen würde, würden sie sich auch nicht verlaufen, es spiele doch gar keine Rolle, wohin sie gingen, alles sei schön und alles das Gleiche. Oder alles sei schrecklich, vielleicht auch das. Nach dem Abendessen spazierten sie in der Dunkelheit durch die Randbezirke. Zu ihrer Linken befand sich ein Labyrinth von Straßen und zur Rechten das offene Wasser der Lagune mit richtigen Wellen, wie auf einem richtigen Meer. Sie liefen in einem vielversprechenden Halbkreis, bis der Damm in Sicht
kam, dann nahmen sie eine Abkürzung ins Ghetto. Auf einem kleinen Platz stießen sie auf eine Fiesta: Tische auf Böcken, Wimpel, Akkordeonmusik und Krüge voller Wein. Unter einer selbst gefertigten Fahne der Kommunistischen Partei saßen und lachten die wirklichen Einwohner von Venedig. Sie nahmen nicht wahr, wie sich die Touristen einen Weg über den Platz bahnten, genauso wenig, wie sie die Tauben zu ihren Füßen wahrnahmen.
Elaine lag in dem Hotelzimmer, das für Venedig vergleichsweise billig war und in dem es sogar einen, wenn auch leicht schäbigen Kronleuchter gab. Feucht war es auch. Sie las im Reiseführer. Darin stand, zur Zeit der Dogen hätten die Prostituierten ihre Unterwäsche außen tragen müssen. Laut einem anderen Führer mussten sie ihre Kleider verkehrt herum überziehen. Offensichtlich lag hier ein Übersetzungsproblem vor – die Prostituierten mussten ihre Unterbekleidung als Oberbekleidung tragen. Sie mussten das Herz auf der Zunge tragen, sie mussten ihre Gebärmutter so tragen, dass sie heraustrat – nicht dass ihnen das viel genutzt hätte. Sie dachte darüber nach, ob sie ihren BH über ihrem T-Shirt tragen sollte, nur hier im Zimmer, als Konversationsstück, als Vorbote für leicht syphilitischen venezianischen Sex. Doch sie lag einfach nur da, bis Tim schließlich mit Pistazieneis zurückkam, um sie aufzumuntern. Und weil es Venedig war, bekam sie ihre Tage, sodass sein Penis mit braunem Blut beschmiert war und die halbe Nacht hindurch marinierte, bis er plötzlich erwachte und zu dem an der Wand befestigten Handwaschbecken ging.
Sie machte den Tintenfisch mit seiner dunklen Tinte dafür verantwortlich. Oder vielleicht war es ja der schwarze Kanal, der vor der Tür des Restaurants schwappte.
4.
In Mexiko mieteten sie von einem alten Mann, der die Finger seiner rechten Hand verloren hatte, eine Strandhütte. Er winkte ihnen mit seinen Stumpen zu und ahmte das Einholen von Netzen über die Bordwand eines Bootes nach.
»Fiss«, sagte er. »Fiss.«
Sie schwammen den ganzen Tag oder lagen in Hängematten und versuchten, ihren Durchfall zu vergessen. Auf der Küstenstraße wimmelte es von verrückten Pick-ups, an deren Ladeflächen sich Kinder klammerten, doch bei Einbruch der Nacht verschwanden die Leute wieder im Wald, und bis auf ein gelegentliches Gemurmel unter den Bäumen hinterließen sie keinerlei Spuren. Die Einheimischen schienen nicht viel zu schreien oder auch nur zu sprechen. Wenn sie aßen, machten ihre Teller und Löffel keine Geräusche.
Zipolite, der nächstgelegene Strand, war überlaufen von Touristengesindel, das, die Surfbretter ans Handgelenk gebunden, auf dem Sand schlief; auch ältere Typen hingen herum, Hippies und Junkies, die noch verrückter waren als seine Großtante Louise.
Einer von ihnen saß in der Nähe im Sand, während sie zu Abend aßen. Er sah aus wie um die siebzig. Ein
Strandgammler, von Geschwüren befallen – vielleicht waren es entzündete Stiche von Moskitos oder Nadeln. Er streckte die Beine aus und besah sich erschrocken den Schorf, das Gesicht verwirrt und angespannt, als erwarte er, dass Maden aus ihnen hervorkrochen. Dann fiel er mit den Fingernägeln über eine schorfige Stelle her und kratzte sich die Haut auf.
Ihnen verging der Appetit.
Vielleicht sei er hierher geflüchtet, um sich der Einberufung zu entziehen, meinte Tim.
Sie betrachteten ihn. Geschichte, hier am Strand. Elaine sagte, er sehe eher wie ein Kriegsgefangener aus – der letzte G. I., einer, der nicht nach Hause fand.
Sie zahlten, und als er das Geld hinlegte, spürte sie in ihm den Drang, Amerikaner Zu Sein – ein Mann, der sich einen Film ansieht und dort oben auf der Leinwand sein eigenes Haus erblickt.
»Möchtest du je zurück?«
»Du machst dir keine Vorstellung, wie’s an meiner Highschool zuging«, sagte er. »Alle hatten ein Auto. Alle fuhren ihren Wagen zu Schrott. Es reichte nicht, ein Mädchen ins Bett zu kriegen, auch die mit Koks vollgepumpte Mutter
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