Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
seine Mutter nicht allein zurücklassen wollte. Er glaubte, sie werde auf irgendeine Art bestraft. Er stellte sich vor, wie sie von Fenster zu Fenster taumelte, Gegenstände zerschlug, sich mit dem Handrücken den Mund stopfte, während sie aller Wahrscheinlichkeit nach im Dunkeln ruhig im Sessel saß. Es bestand kein Zweifel, dass sie seinen Vater geliebt hatte. Überhaupt kein Zweifel. Und zwei Jahre später streifte sie ihre Handschuhe über, ging zur Tür hinaus und angelte sich mir nichts, dir nichts einen anderen, einen anderen Ehemann.
Er mochte den Neuen durchaus leiden, aber manchmal wunderte er sich doch, wie er zwischen einem lächelnden Liebhaber und einem toten Vater unbeschadet hatte aufwachsen
können. Das hatten sie natürlich ihrer Mutter zu verdanken. Danke, Mama. Sie hatten es der Extravaganz ihrer Trauer zu verdanken. Denn genau dorthin ist er jetzt unterwegs – ins Herz jener Wirrungen. Immer wieder rannte er zu dem Haus zurück, um nach ihr zu suchen, und fand mal das eine, mal das andere. In Thailand sah er ein aus Hühnerknochen gefertigtes Modellboot. In Berlin sah er eine Frau, die mit animalischem Blick ihr Baby in einem Straßencafé stillte; die breiten Bürgersteige dort, und alle drei Meter ein Haus mit einer Gedenktafel für die ermordeten Juden. Und in Dublin fand er …
»Dich.«
»Ah«, sagte sie.
»Weißt du, was ich an irischen Frauen mag?«, fragte er. »Ich mag es, dass sie sich immer noch ›Mädchen‹ nennen. Und ich mag das Wetter in ihrem Haar. Was romantisch von mir ist, schließlich bin ich selbst Ire. Also mag ich deine große Familie; all die Brüder und Schwestern, die aufschäumen wie geschlagene Milch. Und ich sag’s nur ungern, aber ich liebe deinen Akzent. Auch deinen dunklen Lippenstift mag ich und die Geschichte, die auf deinem Rücken blüht.«
3.
Übers Wochenende flogen sie nach Venedig und kauften einen Regenschirm.
Sie fanden ihn in einem winzigen Lädchen, in dem ausschließlich Regenschirme verkauft wurden. Sie wollte
unbedingt einen schwarzen Regenschirm mit Holzgriff – altmodisch, denn sie waren ja in Venedig -, er aber wählte ein grünes Ding mit ausziehbarem Stahlgestänge und sagte: »Wie wär’s mit dem?«
»Er muss schwarz sein.«
»Wieso willst du einen schwarzen?«
»Weil wir in Venedig sind.«
Der Mann hinter der Ladentheke verachtete sie bereits. Tim wählte einen großen, gestreiften Golfregenschirm und versuchte noch im Laden, ihn aufzuspannen. Elaine rannte hinaus auf die Straße.
»Komm raus. Komm da raus«, rief sie. Aber er fummelte weiter am Verschluss herum. Sie musste in das dunkle Lädchen greifen und ihn herauszerren.
»Was ist? Was ist denn ?«, fragte er.
»Du kannst ihn da drin nicht aufspannen.«
»Wieso denn nicht?«
Der Regenschirmverkäufer hatte sie mittlerweile herzlich satt; er war im Begriff, nach seinem Magensäuremittel zu greifen oder nach seiner Knarre.
»Es bringt Unglück«, sagte sie.
Tim sah sie an. Dann warf er den Kopf zurück und starrte lange Zeit in den venezianischen Himmel.
Es regnete noch immer.
»Na schön«, sagte er, und sie gingen wieder hinein und baten um einen schwarzen Regenschirm. Als sie wieder herauskamen, hatte sie sich den Schirm unter den Arm geklemmt und spannte ihn in der engen Gasse auf. Doch noch vor dem Abendessen hatten sie ihn verloren.
Überall, wo sie in der Stadt hingingen, erinnerte sie sich an ihren letzten Aufenthalt in Venedig, mit einem anderen Mann, ein paar Jahre zuvor. Es war wie eine andere Stadt, die sich unter dieser regte; ein pentimento von Cafés und Kirchen, die seit ihrem letzten Besuch alle kleiner oder größer geworden waren, von Geschäften oder Plätzen, die sich stets um die nächste Straßenecke befunden hatten, bis sie feststellte, dass die Straßenecke selbst verschwunden war. Auf der ganzen Strecke bis zum Canal Grande suchte sie eine schwarz-weiße Kirche und wäre beinahe ins Wasser gefallen, so überzeugt war sie, dass die Kirche dort stand. Als sie sie an einer ganz anderen Stelle fand, war der kühle schwarz-weiße Marmor mit barockem Gold überzogen. »Wann ist denn das passiert?«, fragte sie.
In Venedig war sie nicht glücklich gewesen. Bei ihrem letzten Besuch hatte die Stadt ihr vorgeworfen, nicht oder auf verkehrte oder starrköpfige Weise verliebt zu sein. Nun also war sie mit Tim hier, um alles wettzumachen.
Er bestand darauf, einen Stadtplan zu benutzen. Elaine sagte, wenn er sich nicht dauernd mit der Karte
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