Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
einzigen langen Nacht in meinem alten Appartement im Marais erzählt, und selbst heute noch denke ich an jene Nacht, so wie man an einen Traum denkt.
Er hat einen jungen Mund. Das könnte ich erzählen.
Der Mund meines Mannes ist straff und weich wie eine sich öffnende Knospe. Was seine sexuellen Lüste angeht, ist er vorsichtig. Er sieht mich gern an, während ich durchs Zimmer laufe. Seine Berührungen sind stets genau platziert, wohlüberlegt und zärtlich. Wenn er mit mir schläft, zögert er kaum. Und obwohl wir nicht mehr
so oft miteinander schlafen wie früher, sind wir stets »erfolgreich«, falls man hier von Erfolg reden kann.
Das ist es, was ich Shay erzählen möchte, denn ich fühle mich dem Vorwurf ausgesetzt – natürlich tue ich das -, ein Abkommen, einen Kompromiss mit meinem Begehren zu schließen. Aber mein Leben nahm eine unerwartete Wende, und jetzt denke ich unerwartete Gedanken. Zum Beispiel denke ich, dass viele Paare glücklich sind im Bett – seltsame Paare in der Metro, die gar nicht zusammenpassen, auch hässliche. Welch ein großes Geheimnis! Und ich frage mich, ob der sexuelle Frust – diese moderne Malaise -, ich frage mich, ob das nicht eine große Lüge ist. Ich würde sagen, das ist die große kapitalistische Lüge, aber bei diesen Worten schließt mein Mann immer die Augen und schlägt sie lange nicht wieder auf.
Der Mann mit den geschlossenen Augen heißt Le Quang Hoa.
Er hat Narben am Körper. Manchmal schreckt er vor Dingen zurück – vor Hunden natürlich und vor plötzlichen Schatten, aber auch vor Dingen, die mir unbegreiflich sind: Beim Klirren des Eises in seinem Wasserglas zuckt er zusammen und ist einen kurzen Augenblick lang wie gelähmt. Auf solche Zeichen achte ich. Zwar halte ich nicht nach ihnen Ausschau und fürchte mich auch nicht vor ihnen, aber ich erkenne sie, und so stehe ich auf und nehme ihm das Glas aus der Hand. Das ist alles. Er ist darauf nicht angewiesen. Bevor er mich kennenlernte, hatte er viele Jahre lang in Paris allein gelebt.
Doch ich nehme ihm das Glas weg und stelle es ab. Ich frage mich, was dieses Klirren wohl in seinem Kopf
auslöst. Und wenn wir miteinander schlafen, lasse ich mir nur selten etwas einfallen: Ich stoße keine Schreie aus und verursache ihm auch keine Schmerzen. Ich fische zum Beispiel nicht die Eiswürfel aus dem Glas neben dem Bett und lasse sie über sein Rückgrat gleiten.
Dergleichen passiert, wenn Liebe und Geschichte sich kreuzen. Das ist die Distanz, die man wahrt. Oder es ist die Distanz, die die Vietnamesen wahren. Oder alte Männer. Oder es ist die Art, wie mein Mann und ich über Distanz und Zärtlichkeit denken – so sind wir einfach. Wer weiß? Wir werden keine Kinder haben. Wir sind sehr glücklich. Oder nein. Eigentlich sind wir nicht glücklich. Aber wir lieben einander sehr, und das verleiht unserem Leben Licht und Gestalt.
Seit ein paar Jahren leben wir in einer Nebenstraße der Rue Mouffetard. Wenn ich morgens zur Arbeit gehe, läuft mein Mann mit einem zusammengerollten Badetuch unter dem Arm um die Ecke zum städtischen Schwimmbad. Ich stelle ihn mir vor, wie er ohne einen Spritzer zu verursachen in dem modisch blauen Wasser umherschwimmt. Er gleicht den alten Damen, die man an der französischen Küste antrifft. Miteinander plaudernd, paddeln sie mit Sonnenbrille und frischer Frisur hinaus und wieder zurück, wie eine Horde Köpfe ohne Körper.
Shay gibt auf und stürzt sich auf die Marlboro-Light-Schachtel. Er schiebt sich eine Zigarette zwischen die Lippen und seufzt lang und tief auf. Nachdem er genug Buße getan hat, reißt er das Streichholz an.
»Schmeckt grauenhaft«, sagt er.
»Dann lass es doch.«
Aber er lässt es nicht. Und da der Abend nun in vollem Gange ist, frage ich ihn nach seiner Frau.
»Wie geht’s Maria?«
»Ach. Mal besser, mal schlechter.«
»Aha.«
Denn »mal besser, mal schlechter« ist irisch für alles und jedes – von Tränen beim Abwasch bis zur voll ausgebildeten Psychose. Obwohl, wenn ich jetzt so darüber nachdenke, eine Psychotikerin ist man für gewöhnlich, wenn man »nicht ganz bei sich ist«.
»Ich weiß nicht«, antwortet er. »Die Umzieherei macht die Sache auch nicht besser. Wir sind nach Epsom gefahren, zum Stammhaus, und da war davon die Rede – nun, es war tatsächlich davon die Rede, ich könnte mich nach Deutschland versetzen lassen. Aber ich glaube nicht, dass sie das hinkriegen würde. War eine schwere Entscheidung, das Angebot
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