Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
mögen das; oder sie bilden sich ein, es zu mögen. Doch der Einzige, der es wirklich verstanden hat, der es voll und ganz verstanden hat, ist mein Mann, der mich an einem ganz gewöhnlichen Abend bei der Hand nahm und mich ins Nebenzimmer führte.
»Wir haben es nur des Visums wegen getan.«
Das ist ein schrecklicher Verrat. Dabei ist es nicht einmal wahr.
»Dann erzähl«, fordert Shay. Dabei habe ich ihm schon viel zu viel erzählt. Also mache ich daraus eine kleine
Geschichte: über meine Arbeit mit Flüchtlingen und wie wir uns erstmals an einem Tisch voller Fotos, Textausschnitte und Klebestifte begegnet waren. Ich könnte sagen, dass die Fotos auf dem Tisch dieses oder jenes Opfer zeigten, dass Hoa jedoch gar nichts von einem Opfer an sich hatte, obwohl ich, während ich neben ihm stand, seinen Schmerz spüren konnte und die Art, wie er diesen Schmerz überwand. Aber ich sage es nicht, weil Shay sonst denken wird, ich sei irgendwie pervers. Vielleicht bin ich das ja auch.
Jetzt sieht er mich an und lächelt leicht, ein Lächeln sozialen Abscheus. Er weiß nicht recht, was er sagen soll. Dann macht er ganz auf irisch und fragt, was sie denn »zu Hause« darüber denken. Nun, ich denke, das geht sie überhaupt nichts an. Meine Mutter ist gestorben, als ich sechs Jahre alt war, was bedeutet, dass wir eine Familie sind, die noch kaputter, noch zurückhaltender ist als andere.
»Ich hab’s ihnen nicht gesagt«, antworte ich.
»Nein?«
»Nein.«
»Na schön«, sagt mein Freund Shay, der eine traurige kleine Sportlehrerin liebt, die jeden Abend für ihn das Geschirr in die Spülmaschine räumt.
Ich frage mich, wie das wohl bei der Frau meines Mannes war; ob auch sie von der Beengtheit ihres Lebens enttäuscht war, bevor es plötzlich richtig eng wurde. Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich manchmal eifersüchtig auf sie bin; eine Frau, die fünfundzwanzig Jahre vor mir geboren wurde und nun schon lange tot ist. Ich glaube, er
hat sie mehr geliebt, als er mich liebt. Das sage ich ihm eines Morgens, als ich aufwache und er im Dämmerlicht am Fenster sitzt. Er blickt ein paar Sekunden zum Himmel auf.
»Sie war sehr liebenswürdig«, stimmt er mir zu und denkt eine Weile über sie nach.
»Ich kann mich nicht so gut an sie erinnern«, sagt er schließlich in seinem bedächtigen Singsang. » Je ne me rappele pas bien d’elle .«
Ich stelle fest, dass ich gar keine Vorstellung davon habe, was es hieß, mitten im Krieg eine Frau in Saigon zu lieben – oder auch nur zu heiraten. Ich habe kaum eine Vorstellung davon, was es heißt, den Mann zu lieben, den ich jetzt liebe.
»Also dann erzähl mir mal«, sagt Shay, »was ihn hierhergeführt hat.«
»Was ihn hierhergeführt hat?«
Ich fange an zu lachen. Höre wieder auf.
Mein Mann schläft nachmittags. Wenn er aufwacht, faltet er die Bettdecke und legt sie ans Fußende des Bettes. Er ist ein Gewohnheitstier. Aber er schreit oder weint nicht, wenn die Bettdecke wieder unordentlich wird. Er hockt nicht da, wie vielleicht Shays Frau, und weint, weil das Haus in einem so schlechten Zustand ist und sich alle Träume zerschlagen haben.
»Nun«, sage ich mit Bedacht, »er hat Frankreich schon immer geliebt. Französisch ist seine Muttersprache.«
Ich erzähle noch ein wenig von ihm, und Shay beginnt zu begreifen, wie alt Hoa ist. Er tut das, was Männer tun, wenn sie meinen, ich kriege nicht den Beischlaf, der mir
zusteht; amüsiert, aber auch überraschend perfide. Ich würde dich ficken.
Ich lächle.
Mein Mann hält jeden Nachmittag ein Schläfchen, ganz einfach. Manchmal spaziere ich hinein und wieder hinaus, ohne wahrzunehmen, dass er da ist. Ich höre seinen Atem nicht. Er könnte ebenso gut ein Blatt Papier sein – ein leeres Blatt Papier -, das auf dem Bett ausgebreitet ist. Dann schlägt er die Augen auf und sieht mich.
»Wie alt ist der Kerl eigentlich?«, fragt Shay. Mittlerweile sind wir betrunken. So weit ist es gekommen.
»Alt genug«, sage ich.
Daraufhin erhebt er sein Glas.
»Auf die Liebe«, sagt er.
Fünfzehn Minuten später macht er mit seiner dicken, großen Hand abgehackte Bewegungen auf dem Tisch. Er sagt, nicht alle unsere Partner können Flüchtlinge sein oder Krebs haben oder so etwas Ähnliches, damit will er andeuten, dass es eines Tages so kommen könnte und dass wir sie auf jeden Fall noch immer lieben, noch immer mit ihnen verheiratet sein werden. Dem kann ich nicht widersprechen. Gerade will ich das aussprechen, da sieht Shay
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