Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alles was du wuenschst - Erzaehlungen

Titel: Alles was du wuenschst - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright
Vom Netzwerk:
auszuschlagen. Aber natürlich waren die Kinder ja auch gerade erst dabei, sich an ihre neue Schule zu gewöhnen.«
    Ich streife die Asche von meiner Zigarette ab und nicke unablässig. Ich mag Shay. Er hatte schon immer ein großes und gebrochenes Herz. Er ist die Sorte Mann, die auf der Straße ihre Hosentaschen umstülpen würde, um zu zeigen, dass sie nichts mehr hat, was sie weggeben könnte. Und nun sitzt er wieder hier und breitet auf dem Tisch eines Cafés seine Seele vor mir aus – schleudert ihn hin, diesen alten Fetzen, weil er alles ist, was er hat.

    »Ich weiß, es ist meine Schuld. Oder die meiner Firma. Aber ich liebe sie noch immer, weißt du.«
    »Klar liebst du sie noch.«
    »Sie möchte wieder singen.«
    »Ach, wirklich?«
    »Früher hat sie gesungen.«
    Tatsächlich? Ich erinnere mich an Maria – eine zierliche, hübsche Frau -, wir sind uns einmal begegnet, und sie hasste mich auf den ersten Blick. Sie wollte mir, wenn ich mich recht entsinne, unbedingt von ihrer Ausbildung als Sportlehrerin erzählen, aber an eine Gesangsausbildung kann ich mich nicht erinnern. Ich bin mir sicher, dass Shay recht hat. Ich bin mir sicher, dass sie Sängerin ist. Ich bin mir sicher, dass sie eine berühmte Sängerin ist, die sich als Ehefrau tarnt, und dass an allem nur Shay schuld ist, weil er ihre Pläne durchkreuzt und sie in ihrer Entfaltung behindert. Ich erinnere mich an ihre Hochzeit – an ihre schmale, kompakte Taille unter seiner Pranke. Ich denke daran, wie sie als Neunjährige Rückwärtssaltos vollführte.
    »Sie ist wirklich gut«, fährt er fort. »Sie ist glänzend, Aber so etwas kann man nicht einfach -«
    Mitten im Satz bricht er ab.
    Es ist fünf vor sechs. In unserem Appartement hat mein Mann gekocht, dekantiert und dann aufgewärmt, eine Rinderbrühe für eine Nudelsuppe. Er wird nicht auf mich warten. Bald wird er die Suppe schöpfen und hinunterschlürfen. Danach wird er, wenn ich immer noch nicht zurück bin, den Fernseher einschalten. Er liebt Science-Fiction, besonders Xena . Wenn es nichts gibt, was er
sich ansehen könnte, wird er sich hinsetzen und in den Medizinbüchern lesen, die er besitzt, auch in den Werken irgendwelcher Quacksalber. Manchmal wird er eine Pause einlegen und auf irgendeinen Punkt auf seinem Bauch drücken oder mit den Zehen wackeln und diese untersuchen.
    Fünf Straßen entfernt berühre ich Shays breiten Handrücken und sage: »So läuft’s nun mal.«
    Shay betrachtet meine vor ihm liegenden Fingerspitzen. Dann hebt er seinen großen Kopf und sieht mich an, als wolle er sagen: »Was weiß denn ich? Was versteh denn ich von ›So läuft’s nun mal‹?«
    »Dieses Gefühl, dass einem die Luft ausgeht. Frauen trifft es halt früher. Ich meine, wenn sie Kinder haben, trifft es sie. Das ist alles. Wenn sie Kinder haben.«
    »Das mag ich so an dir«, sagt Shay. »Du sprichst aus, wie es ist. ›Man wird alt, man wird dick, alles ist scheiße, man stirbt.‹«
    »Na ja.«
    Dann bin ich also an allem schuld – schuld an der Tatsache, dass Shays Frau niemals ins Radio kommen wird, um ihren Studentenbudenjazz zu trällern. Ich bin diejenige, die ihr im Weg steht.
    »Schon seltsam«, sagt er. »Die Träume eines anderen Menschen. Man hat keine Gewalt über sie.«
    Mein Mann wurde 1943 geboren. Er hat die Invasionen der japanischen, der französischen und der amerikanischen Armee überlebt. Es ist anzunehmen, dass seine Familie diese Besatzungen nicht nur überlebt hat, sondern auch ziemlich gut dabei weggekommen ist. Hoa unterrichtete
am französischen Lycée in Saigon. Während der Zeit, die wir den Vietnamkrieg nennen, war er verheiratet und hatte zwei Kinder. Einer seiner Söhne lebt auf der anderen Seite der Grenze, in Laos, der andere möchte seinen Vater nicht mehr sehen. Als junger Mann glaubte Hoa, Paris sei der Nabel der Welt. Nach drei Jahren in einem Umerziehungslager der Regierung dachte er überhaupt nicht mehr an Paris.
    »Ich habe geheiratet«, sage ich plötzlich. »Hatte ich dir das mitgeteilt?«
    »Du lieber Himmel!«, entfuhr es Shay. »Nein, das hast du mir nicht mitgeteilt, daran würde ich mich erinnern.«
    Er sieht mich ganz aufgeregt an. Dann schwindet etwas aus seinen Augen.
    Was Shay wirklich an mir mag – was sie alle an mir mochten -, ist, dass ich ihn beziehungsweise sie nicht heiraten wollte. Ich wollte mich nicht einmal in sie verlieben. Was mich anbelangte, so schlief man mit jemandem, oder man tat es nicht. Es war ganz einfach. Männer

Weitere Kostenlose Bücher