Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
zu unterziehen, und ich hatte viel zu viel zu tun, um meinen Mann anzubrüllen, seine Taschen zu durchwühlen oder an seiner
Kleidung zu schnüffeln, bevor ich sie in die Waschmaschine stopfte. Ich hatte wichtigere Dinge im Kopf. Schließlich ging alles so gut aus, dass Papa nicht mal eine Chemo haben musste – und danach war ich viel zu erleichtert, um wieder kehrtzumachen und meinen Mann anzubrüllen oder an seiner Kleidung zu schnüffeln. Es war ja längst vorbei, und außerdem hatte ich etwas über mich selbst gelernt. Ich hatte gelernt, dass ich die Sorte Frau nicht bin – die Sorte, die schnüffelt, wütet und brüllt. Und das war ein seltsames Gefühl, muss ich sagen. Denn ich bin mit den gleichen Träumen aufgewachsen wie jedes andere Mädchen auch, aber wenn’s hart auf hart kommt … Wenn’s hart auf hart kommt, halte ich den Kopf hoch.
Was sollte ich auch sonst tun?
Um ehrlich zu sein, ein Teil von mir dachte, er habe einen Urlaub verdient; wenn ich die Chance hätte, würde ich mir ebenfalls Urlaub nehmen. Ein anderer Teil von mir dachte: »Jemand muss sterben.« Ich habe wirklich gedacht, ich könnte jemanden umbringen deswegen. Ich könnte sie umbringen. Oder ich könnte ihn umbringen. Oder ich könnte sie gewähren lassen und mich umbringen. Aber das würde auch nichts nützen, oder? Die Dummheit, die Zügellosigkeit meines Mannes war viel zu nichtig, um sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Und sie war viel zu gewichtig, als dass wir alle aufrecht stehen konnten; alle noch am Leben.
Aber vielleicht ging sie mir seit damals durch den Kopf. Mir und ihm. Die Vorstellung, dass jemand sterben musste.
Was also waren die Aussichten? Zwei, drei weitere Seitensprünge im Lauf der Jahre? Eine Streuung von »Unfällen«, und dann, eines Tages, dies hier, was immer es ist. Ein weinender Mann auf dem Sofa. Kummer.
Es war halb sechs. Die Kinder sahen vor dem Abendessen fern. Ich scheuchte sie hinaus – meine Tochter, Augapfel ihres Vaters, weinte selbst ein bisschen bei dem tragischen Anblick, den er bot: den Mantel abgeworfen, in der anderen Hand noch die Aktentasche.
Kinder vergraben solche Dinge sehr tief. Ich hätte es besser gefunden, wenn sie darüber geredet hätte, doch als ich sie eine Woche später nach ihrem auf dem Sofa weinenden Vater fragte, sah sie mich nur an, als wäre ich soeben aus dem Weltraum auf der Erde gelandet.
»Was für ein Sofa?«, fragte sie. »Welches Sofa?«
Das ist echt Shauna. Sie ist erst neun. Mit ihren Brüdern darüber zu reden hat keinen Sinn, die sind längst in der Brummphase.
Dann wieder denke ich: Warum nicht? Warum nicht mit deinen Söhnen über Dinge reden? Warum nicht Männer großziehen, die sprechen können?
Weil dort, zusammengesunken auf dem hafermehlfarbenen Leinenmix, mein Mann hockt und seiner Sterblichkeit ins Auge blickt. Was noch? Seiner eigenen Armseligkeit. Er sah aus, als hätte er sie eigenhändig umgebracht, obwohl er sie gar nicht umgebracht, ja sie nicht einmal geliebt hatte. Er dachte (bilde ich mir ein) an irgendeinen schönen Körperteil von ihr, der von der Tür oder der Kühlerhaube zermalmt worden war und bereits zu Lehm wurde.
Und es gibt niemanden, mit dem er darüber reden kann. Überhaupt niemanden.
Denn solche Freunde haben Männer nicht – Typen, die man anrufen und zu denen man sagen könnte: »Geh mal was mit ihm trinken. Rede mit ihm darüber. Bau ihn wieder auf.« Nein. Der einzige Freund, den er hat, bin ich.
Und mir kann er es nicht sagen, weil ich es nun wirklich nicht wissen möchte.
All das natürlich im Nachhinein. Damals sah ich ihn an und dachte, unsere Ehe sei am Ende, oder er sei am Ende. Ich wollte mich längere Zeit krankschreiben lassen, und was dann? Mein auf dem Sofa weinender Mann war neunundvierzig Jahre alt. Und wenn Sie meinen, neunundvierzig sei ein schwieriges Alter, dann versuchen Sie’s doch mal mit fünfundfünfzig.
Ich sah einer langen Zukunft mit einem Mann entgegen, der vergessen hatte, wozu er da war.
Als er sich mit der Hand die Tränen aus dem Gesicht wischt und den Kopf hebt, um mir alles zu beichten, gibt’s also nur eins, das ich ihm sagen kann, und das ist:
»Ich will’s nicht wissen.«
Wie wir durch die folgende Woche gekommen sind? Wie immer vermutlich. Völlig normal. Wir sind völlig normal durch die Woche gekommen. Während ich auf einen Hinweis oder einen Anhaltspunkt lauere. Die letzte Seite der Zeitung, die er zu intensiv und zu lange anstarrt. Und am
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