Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
französische Pfirsiche und küsste ihre beiden Kinder, deren weiche Haut noch immer nach Meer duftete, auf die feste, runde Stirn. Artig schauten ihr die perfekten Mädchen dabei zu. Vielleicht wurden sie nicht oft geküsst. Vielleicht war das Michelles Problem – sie küsste zu viel -, vielleicht war es das, was sie falsch machte. Zehn Minuten später waren die perfekten Mädchen noch immer perfekt, wohingegen sich ihre eigenen Kinder von oben bis unten mit Pfirsichsaft bekleckert hatten, sodass sie erneut etwas Sauberes finden und sie ausziehen musste.
Gegen vier Uhr hellte der Himmel sich auf, und draußen schnappte sich Michelle die am wenigsten nassen Klamotten. Diese hängte sie in die Sonne und die nasseren in den Schatten. Dann fragte sie sich, ob sie es nicht genau umgekehrt hätte anstellen müssen – wollte sie nun ein paar trockene oder eine Menge feuchter Kleider? Wie viele Tage blieben ihnen überhaupt noch? Zum Zählen musste sie ihre Finger zu Hilfe nehmen. Sie stand vor dem Kleiderschrank der Kinder, berührte Shorts und Kleider, sagte: »Mittwoch, Donnerstag …«, und fing wieder von vorn an.
Sie kam zu dem Schluss, dass das Gespenst eine Frau war, die im Wohnwagen gestorben war. Zu Tode erstarrt
war. Beim Patiencelegen war sie stocksteif auf der Sitzbank gestorben. Absonderlicherweise war Michelle davon fest überzeugt. Sie spürte beinahe körperlich, wie die sandigen Karten beim Ablegen über die Tischplatte glitten.
»Was würdest du sagen, wie alt diese Dinger sind?«
Dec dachte nach. »Zehn Jahre? Keine Ahnung. Zwölf?«
Das war’s. Sie war beim Kartenspiel gestorben, während ihre Kinder im Nebenzimmer schliefen, fast in Reichweite.
Klopf, klopf.
Michelle pochte gegen die dünne kleine Wand.
Klopf, klopf .
Zum letzten Mal fuhren die Ehebrecher von der Sonnenseite des schmalen Weges mit ihrer gesamten Brut davon. Michelle war wie der Blitz zur Stelle und stahl das bisschen Sonnenschein, das sie zurückgelassen hatten. Die folgenden Minuten verbrachte sie damit, die übrigen Sachen hinüberzuschaffen, wobei sie prüfend zum Himmel schaute und Emmets Shorts wendete wie ein Stück Toast unterm Grill. Dabei dachte sie an die nächste Familie, die hierherkommen würde, und an die Familie danach; an die dicker werdenden Frauen, die standhaften Männer und all die hübschen Kinder; an all die Tausende im Regen wachsenden hübschen Kinder. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass sie ihre eigenen beiden Kinder nicht hören konnte, dass sie schon seit geraumer Zeit keinen Mucks mehr von ihnen vernommen hatte. Sie suchte den schmalen Weg ab und begann zu rennen.
Sie musste sie um ein Haar verpasst haben, denn als sie um die Ecke kam, sah sie, wie die beiden perfekten
Mädchen unter ihren Wohnwagen spähten. Emmets mit Sandalen bekleidete Füße ragten reglos darunter hervor. Michelle stockte. Die Welt stockte. Das Gespenst am Fenster ihres Wohnwagens wandte sich um und schaute durch die Scheibe, in der sich der Himmel spiegelte.
Und dann bewegten sich seine kleinen Füße. Natürlich bewegten sie sich. Als sie heraneilte, sah Michelle, dass beide Kinder unter dem Wohnwagen lagen und sich bäuchlings durch den Dreck schlängelten.
»Du lieber Himmel!«
Der Vater der Mädchen steckte kurz seinen Kopf aus der Tür.
»Eine Muschi!«, rief Emmet. Vielleicht lag es an dem dummen Wort oder an den verschmutzten Kleidern, die sie erneut würde wechseln und waschen müssen, doch im nächsten Moment zerrte sie Katy rückwärts an einem Bein unter dem Wohnwagen hervor. Emmet robbte weiter ins Dunkel, und sie fauchte ihn an, sofort herauszukommen, auf der Stelle herauszukommen.
Die beiden perfekten Mädchen waren angesichts dieser Szene nicht so sehr gekränkt als vielmehr betrübt, und als ihr Vater herauskam, grinste er nur und tröstete sie. Vermutlich hatte sie, wie sie Dec später erklärte, ihrem Kind gegenüber gar nicht den Ausdruck »verfluchte Scheiße« verwendet, hatte also nicht »Verfluchte Scheiße, komm sofort da raus!« gesagt. Aber Katy hatte laut gejammert, sie habe sich das Knie aufgeschürft, und nachdem Michelle ein paarmal vergebens nach ihrem Sohn gegriffen hatte, musste sie aufstehen und sich umdrehen, bis er beschloss, von allein hervorzukriechen. Was er natürlich
nicht deswegen getan hatte, weil sie so wütend gewesen war. Michelle stand da, sah nach oben und wünschte sich, eine andere Sorte Mutter zu sein – sofern es eine andere Sorte Mutter überhaupt gab
Weitere Kostenlose Bücher