Alles was du wuenschst - Erzaehlungen
Dienstagmorgen komme ich zurück – ich hatte die Kinder zur Schule gebracht -, und er ist immer noch
da, hat seinen dunklen Anzug an und bindet sich seine Trauerkrawatte um.
»Wer ist denn gestorben?«
»Eine junge Frau«, sagt er.
»Was für eine junge Frau? Die Tochter von jemandem?«
Er antwortet nicht. Vor dem Spiegel bürstet er sich die Schultern ab.
Er sagt: »Wir bilden sie aus, und weg sind sie.«
»Sie hat’s bestimmt nicht absichtlich gemacht.«
Er schlingt die Trauerkrawatte mehrfach durch den Knoten. Zieh sie fest und lockere sie dann ein bisschen. Gib deiner Frau einen Abschiedskuss.
»Willst du nicht, dass ich mitkomme?«, frage ich, denn inzwischen bin ich wütend. Ich weiß längst, was passiert ist. Ich möchte Salz in die Wunde streuen.
»Nein«, sagt er. »Ich habe sie kaum gekannt.«
»Bist du dir sicher?«
»Nein, nein.« Nimm die Aktentasche mit, zieh das Telefon vom Ladegerät ab, taste nach den Schlüsseln.
»Zum Abendessen zurück?«, frage ich.
»Was gibt’s denn?«
»Ich dachte, ich grille uns Lachs.«
Vergiss, wo der gute Mantel aufbewahrt wird, öffne erst die eine Schranktür, dann die andere Schranktür, blick fragend deine Frau an, die sagt: »Er ist unter der Treppe.«
Schau deiner Frau in die Augen, als sie das sagt, und streck die Hand aus, um ihren Hals und ihr Haar zu berühren.
Sag: »Danke.« Dann geh davon.
Oh, ich weiß, wofür du mir dankst .
Die Haustür fällt hinter meinem Mann mit seiner Trauerkrawatte zu, und ich gehe nach unten, um die Frühstücksreste wegzuräumen und mir die übliche Tasse Kaffee zu machen. Ich fülle den Kessel und stöpsele den Stecker in die Steckdose. Ich stelle meinen Becher auf die Küchentheke. Noch bevor das Wasser kocht, stoße ich den Recyclingeimer um, und alles ergießt sich auf den Boden. Ich gehe die alten Zeitungen nach Todesanzeigen durch.
»Samantha ›Sammy‹ MacHale, tragischer Tod im Ausland.« Das war kinderleicht. Ich schnappe mir das Telefonbuch und gehe auch dieses durch.
Die Kirche ist in Walkinstown, dann müssen die MacHales in einer Nebenstraße der Cromwellsfort Road wohl die richtigen sein. Vielleicht hat sie ja noch zu Hause gewohnt, mit vierundzwanzig – bei den Preisen heutzutage. Wenn ich wollte, könnte ich jetzt hinfahren. Könnte in meinem kleinen Auto hinfahren. Ich frage mich, ob ihre Eltern wohl wissen, was ihre Tochter so getrieben hat? Ich habe das beschämende Bedürfnis, es ihnen zu verraten – so stark, dass ich stillstehen muss, bis es nachlässt.
So eine bin ich nicht.
Nein.
Ich mache mir meine Tasse Kaffee und beruhige mich.
Trotzdem frage ich mich, wie sie wohl ausgesehen hat. Auf welche Schule ist sie gegangen? Hängen in den Korridoren aufgereiht Fotos von früheren Schülerinnen, Jahrgang – welches Jahr wird es gewesen sein? – 1998?
So jung.
Wer ist schon so jung?
Ich fülle den Geschirrspüler, hole den Staubsauger hervor, und während meiner morgendlichen Runde findet das Begräbnis in meinem Kopf statt. Aber ich werde nicht ins Auto springen und nach Walkinstown brettern. So eine bin ich nicht. Ich werde nicht in letzter Minute die Panik kriegen und auf dem Friedhof aufkreuzen, um die Gesichter am Grab zu studieren und hier und da ein paar Brocken aufzuschnappen, was für ein großartiges Mädchen sie gewesen ist, »unbezähmbar«, »immer zu Späßen aufgelegt«. Und wie sie das war: immer zu Späßen aufgelegt.
Oder auch nicht. Vielleicht war sie schüchtern, bescheiden. Leicht zu beeindrucken. Sie könnte eine ruhige junge Frau gewesen sein. Eine junge Frau, die darauf bedacht war, zu gefallen.
Nein.
Das werde ich ebenso wenig herauszufinden versuchen wie alles andere. Denn das wäre obszön. Ich werde bei diesem letzten Tanz mit der Toten nicht auftauchen wie – was ist das Gegenteil von dem sprichwörtlichen Gespenst auf der Hochzeit? – wie eine leibhaftige Ehefrau.
Als er nach Hause kam, aßen wir den Lachs. Kartoffeln. Ein bisschen Spargel.
»Herrlich«, sagt mein Mann. »Köstlich.« Nach dem Essen steht er auf und macht sich ein Sandwich mit kalten Würstchen aus dem Kühlschrank. Mit Butter, Mayonnaise, allem Drum und Dran.
Und ich sage: »Warum schmierst du dir nicht noch ein bisschen Schweineschmalz drauf, wo du schon dabei bist?«
Das ist für lange Zeit der letzte richtige Satz, den ich zu ihm sage. Wo ist die Gasrechnung hin wann wirst du zu Hause sein würdest du Shauna vom Ballett abholen? Wir könnten ewig so weitermachen.
Weitere Kostenlose Bücher