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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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hinunter, und ich flehte Moxon mit Blicken an zu gehen.
    Zweifellos las er diesen Wunsch in meinen Augen, denn er schickte sich an, seine Handschuhe überzuziehen. »Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, sagte er herzlich zu Etna, und ich bin überzeugt, es war ihm ernst damit.
    Während ich dem Davongehenden nachsah, überlegte ich, daß er im Grunde kein übler Mensch war; nein, ich glaube wirklich, er hatte nie einen bösen Gedanken im Kopf. Aber ich wußte auch, daß er es nicht lassen könnte, jedem Kollegen, der ihm über den Weg lief, von unserer Begegnung zu erzählen. Man sah mich selten in weiblicher Gesellschaft.
    »Fürchten Sie nicht, The Illative Sense könnte für Ihre Studenten zu schwierig sein?« fragte Etna, als Moxon gegangen war.
    Ich zuckte überrascht zusammen, ein beleidigender Reflex, den ich sogleich zu vertuschen suchte, indem ich mich über meinen Kakao beugte.
    »Ah, Sie haben Newman gelesen?« Ich bemühte mich um einen beiläufigen Ton.
    »Ja.«
    »Und was …? Mögen Sie Newman?«
    »Sie sind schockiert, ich sehe es Ihnen an. Es ist durchaus verständlich. Wie sollte ich auch zu einem solchen Buch kommen, und warum sollte eine Frau meines Formats, das heißt ganz ohne Format, sich den Kopf mit solch männlicher Unterhaltung beschweren?«
    »Nein, nein«, wehrte ich einigermaßen verlegen ab. »So ist es ganz und gar nicht.«
    Sie schien erheitert. »Ich bin vielseitig in meiner Lektüre, Professor Van Tassel«, sagte sie (und wie schnell sie ihr Versprechen, mich beim Vornamen zu nennen, vergessen hatte). »Ich lese, was ich irgend bekommen kann, aus Leihbüchereien, Antiquariaten, aus der Bibliothek von Verwandten …«
    »Dann haben Sie sich Ihr Wissen selbst angeeignet.«
    Sie lachte. »Es ist ein sehr löchriges Wissen. Aber ich hoffe, es wird nie aufhören zu wachsen. Mein Vater war Mathematiklehrer an der Phillips Exeter Academy.«
    »Eine gebildete Familie.«
    »Ich selbst habe keine Ahnung von Mathematik oder den Naturwissenschaften. Ich bin sicher, mein Onkel William findet mich hoffnungslos dumm.«
    »Oh, das bezweifle ich.« Ich hatte meine Fassung halbwegs wiedergefunden und war dabei, mein Bild von Etna Bliss zurechtzurücken und ihm diese neue Seite hinzuzufügen, deren Entdeckung zwar etwas irritierend war, die sich jedoch, das war mir klar, bei einer Ehefrau als durchaus nützlich erweisen konnte.
    Gleichzeitig griffen wir nach der silbernen Zuckerdose, und unsere Hände berührten sich. Sie zog ihre hastig zurück, und es entstand ein ungemütliches Schweigen. Nach diesem Muster verliefen, wie ich bald feststellen sollte, alle unsere kleinen Ausflüge. Sprachen wir über Bücher oder Ideen, so war Etna lebhaft, als hätte sie das Gespräch lange entbehrt. Schlug ich jedoch ein persönliches Thema an oder berührte ich sie versehentlich, so zog sie sich augenblicklich zurück. Es war, als schöbe sich eine Wolke vor die Sonne, so schnell und so vollständig wich das Licht aus ihrem Gesicht. Ich mußte lernen, Gespräche zu führen, die sie ermutigten, aus sich herauszugehen, und ihr keinen Anlaß gaben, sich in ihr Schweigen zurückzuziehen. Das gelang mir während dieses ersten Ausflugs ganz gut, so gut immerhin, daß ich einen Vorstoß wagte, als sie recht unvermittelt sagte, sie müsse jetzt nach Hause.
    Sie stand auf. Ich ebenfalls. »Ich hoffe, Sie gestatten mir, Sie wieder zu besuchen«, sagte ich.
    Sie zögerte eindeutig, scheinbar damit beschäftigt, ihre Handschuhe zu suchen. Aber dann sah sie mich endlich an. »Ja, gern«, sagte sie schlicht.
    Aber war Etna Bliss klar, daß die Freiheit, nach der sie sich sehnte, die körperliche wie die geistige, vielleicht nicht umsonst zu haben war?
    Ich begann mit aller Entschlossenheit, um Etna Bliss zu werben. Wenn der Weg zu ihrem Herzen über Bücher führte, dann würde ich eben zur unerschöpflichen Ein-Mann-Leihbücherei werden. Und schon an jenem ersten Tag, als ich mit Rider Haggards König Salomos Schatzkammer und Emma Brookes Übergang vorsprach, sah ich, daß Etna verstand. Obwohl sie wenig verriet, fiel es mir schwer, in ihrer stillschweigenden Hinnahme nicht mehr zu sehen. Mit anderen Worten, ich begann zu hoffen.
    Bald machte ich regelmäßig zweimal die Woche Besuch, und es kann in dieser Familie hinsichtlich meiner Absichten nicht den geringsten Zweifel gegeben haben. Man hätte mich für einen durch und durch ehrlosen Burschen halten müssen, hätte ich Etnas Zeit in solchem Maß in Anspruch genommen, ohne

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