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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Schwester, hat sich das Haus genommen.«
    »Ich verstehe«, sagte ich und begann jetzt wirklich zu verstehen.
    Ich zog sie aus der Bahn eines vorüberrollenden Wagens.
    »Ich beneide Sie um Ihre Freiheit«, sagte sie unvermittelt. »Um die Freiheit, allein leben zu können, in Ihren eigenen Räumen, das Fach Ihrer Wahl zu studieren und so Ihrer Gemeinde als Lehrer zu dienen.«
    Ich wunderte mich. Woher wußte sie, daß ich in eigenen Räumen lebte? Hatte sie ihren Onkel nach Einzelheiten über mich gefragt? Und durfte ich das als ein Zeichen des Interesses von ihrer Seite interpretieren?
    »Freiheit ist relativ, Miss Bliss. In manchen Religionen glaubt man zum Beispiel, wahre Freiheit bestehe in vollkommenem Gehorsam.«
    »Ich würde gern ausnahmsweise einmal mir selbst gehorchen«, erwiderte sie impulsiv, wie jemand, dem ein Gedanke über die Lippen springt, bevor er zensiert werden kann. Und ich muß zugeben, diese ungemein freimütige Aussage verblüffte mich.
    »Warum haben Sie es nie getan?« fragte ich.
    »Ich bin allzulange in der liebevollen Obhut meiner Mutter und Schwestern geblieben, und jetzt fehlen mir, wie vielen Frauen, gewisse Fähigkeiten, um selbständig meinen Weg zu gehen.«
    »Und wohin sollte dieser Weg führen?«
    Sie sah mich scharf und prüfend an. »Genau das ist die Frage, Professor Van Tassel. Wohin sollte dieser Weg führen?«
    Sie löste ihren Arm aus meinem und schwieg eine Weile, und ich mußte mich von neuem an ihr Schweigen gewöhnen. Aber nicht bevor ich unter der blau-goldenen Seide ihres Ensembles ein Unterkleid aus Verzweiflung entdeckt hatte. Doch vielleicht war das nur Wunschdenken.
    »Darf ich Sie bitten, mich Nicholas zu nennen?« fragte ich, durch ihre Freimütigkeit ermutigt.
    Und war wütend auf mich und mein allzu gieriges Grapschen, als sie von mir wegtrat und ihren Blick auf die ausgebrannte Ruine des Hotels richtete. Es war ein niederdrückender Anblick, das schwarze Skelett jetzt von Wasser und Fäulnis durchtränkt. Ein ekelhafter Geruch, der mir vorher nicht aufgefallen war, hing in der Luft, und mich schauderte bei dem Gedanken an seinen Ursprung.
    »Zu denken, daß wir in dieser Nacht hätten umkommen können«, sagte sie beinahe ehrfürchtig.
    Ich zog ein Taschentuch aus meiner Tasche, schüttelte es aus und überbrückte den Raum zwischen mir und Etna Bliss mit ausgestrecktem Arm. Kühn hielt ich ihr das Tüchlein aus belgischem Leinen vor Nase und Mund, raubte ihr sozusagen den Atem, um zu verhindern, daß der Gestank aus der Ruine in ihre Nase eindringen und ihre Wahrnehmung beschmutzen würde. Ich zitterte tatsächlich angesichts der Vermessenheit meines Tuns.
    Sie war überrascht, zuckte aber nicht zurück. Nach einem Moment nahm ihre Hand den Platz der meinen ein. Und wenig später entfernte sie das Tuch. »Ich nenne Sie gern Nicholas, wenn Sie das wünschen«, sagte sie, sich mir zuwendend.
    Und ich konnte kaum sprechen vor Glück über das Angebot solch erhoffter Intimität.
    »Miss Bliss«, sagte ich, »darf ich Sie zu einer heißen Schokolade einladen?«
    »Wenn ich Sie Nicholas nennen soll, ist es nur recht und billig, daß Sie mich Etna nennen«, sagte sie ungezwungen. »Ja, ich würde jetzt gern etwas Warmes trinken. Ich bin richtig ausgehungert. Dieser Spaziergang hat mir gutgetan.«
    »Also dann«, meinte ich, unfähig, mehr zu sagen.
    Wir traten in ein kleines Café in der Kimball Street, sogleich umflutet von Hitze und Betriebsamkeit, dem Geruch nasser Stiefel und dem Dampf, der das ziselierte Fensterglas hatte beschlagen lassen. Im Ofen brannte ein Feuer, und auf den schmutzigen Dielen lagen Schals und Fäustlinge, Handschuhe und Wollmützen und sogar Kindermäntel, unter Tisch und Stühlen und bisweilen mitten im Gang abgeworfen, als hätten sich sämtliche Gäste des Lokals gemeinschaftlich ihrer Überkleidung entledigt. Eine Kellnerin in schwarzem Taft und weißer Spitze, ein Häubchen im von der feuchten Hitze gekräuselten Haar, führte uns zu einem Tisch. Wir setzten uns. Etna bestellte Tee und Apfelkuchen, ich eine heiße Schokolade. Ihre geröteten Wangen sprachen von Bewegung in frischer Luft und von beträchtlicher Lebhaftigkeit. Sie bot jetzt das Bild einer Frau, die vor Gesundheit und Lebenslust strotzte, als könnte endlich ein ruheloser Geist, dem die langen Wochen im stickigen Salon der Familie Bliss die Luft abgeschnürt hatten, wieder frei atmen und sich regen.
    »Haben die Leute hier alle mit dem College zu tun?« fragte

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