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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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Wochen. Ich kann nicht sagen, auf angenehme Art, das Wort ist, finde ich, zu zahm. Vielmehr erinnere ich mich dieser Tage als einer von Gefahr erfüllten Zeit; der Gefahr, ich könnte etwas tun oder sagen, was Etna dazu bringen würde, mich irritiert zu betrachten. Es gab auch Tage heftigen Herzensaufruhrs, höchsten inneren Glücks und sinnlicher Erregung, wie ich sie nie zuvor gekannt hatte. Und, wenn ich das einmal sagen darf, gelegentlich zeigte sich ein Schimmer des Glücks auch in Etnas Zügen.
    Ich erinnere mich lebhaft an einen Nachmittag im Januar – der Himmel so klar, daß er künstlich schien, sein Blau und das Weiß des Schnees beinahe knallig in ihrem Prunken und diamantenen Gefunkel –, an dem ich mit Etna eine lange Schlittenfahrt durch das umliegende Land unternahm, die sie so sehr begeisterte, daß sie alle Zurückhaltung ablegte. Ich hatte selbst schon einige Zeit nicht mehr in einem Schlitten gesessen und ganz vergessen, was für eine Geschwindigkeit, was für ein Sausen und Brausen sich bei so einer Fahrt entwickeln können. Etna und ich hatten Specksteine auf dem Schoß, die am Feuer gelegen und beträchtliche Wärme gespeichert hatten. Die Decken, in die man uns eingehüllt hatte, bildeten eine Art Kokon. Nur unsere Gesichter brannten von der bitteren Kälte, aber das störte uns nicht, so berauschend war die Luft. Während wir dahinflogen und die Glöckchen im Rhythmus des Galopps der Pferde bimmelten, ging langsam die Sonne unter und tauchte die verschneiten Felder und die Bäume – selbst die Tannen – in ein tiefes, aber lebhaftes Rosé, so daß die ganze Welt von innen zu glühen schien. Als das ergreifende Farbenspiel seinen Höhepunkt erreichte, flogen die Pferde, die vielleicht den Augenblick der Vollendung spürten (oder, was wahrscheinlicher ist, zurück in den warmen Stall wollten), mit solchem Tempo um eine Wegbiegung, daß der Schlitten auf eine Kufe kippte. Etna schrie auf und ergriff meine Hand, die unter der Decke hervorgekommen war. In einem Taumel des Entzückens, der Leidenschaft sehr nahe kam, wenn nicht sogar etwas wie Leidenschaft war, hielten wir einander fest. Und zu meiner Überraschung und Glückseligkeit ließ sie meine Hand nicht los, als der Schlitten sich wieder gerade richtete, sondern schob ihre behandschuhten Finger in die meinen. Es war ein so unerwartetes Geschenk, daß ich starr vor Glück war. Der Mann auf dem Bock, ein Bauer aus der Umgebung, der in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte, entschuldigte sich nuschelnd für seine unbesonnenen Pferde, während ich ihm natürlich am liebsten gedankt hätte. So kam es, daß Etna und ich endlich diesen Meilenstein auf dem Weg zur körperlichen Nähe erreichten – die erste längere liebevolle Berührung –, was ich zum Anlaß nahm, in Zukunft häufig ihre Hand zu halten. Und das schönste war, daß Etna ihre Hand während der restlichen Fahrt in der meinen ließ.
    Bisweilen wichen unsere Ausflüge vom gewohnten Muster ab. Mir fällt ein Tag ein, an dem Etna zu mir kam – das heißt, ich holte sie ab, aber sie kam mit ins College.
    Sonntags war es Fakultätsmitgliedern gestattet, nach dem Kirchgang Gäste zum Mittagessen einzuladen. Manchmal waren es Familienangehörige, die außerhalb lebten, oder Kollegen, mit denen man am nächsten Tag beruflich zu tun hatte, gelegentlich auch Frau und Kinder eines Dozenten, die aus diesem oder jenem Grund nicht zu Hause speisen wollten.
    Ende Februar also lud ich Etna zu einem dieser sonntäglichen Mittagessen in Thrupp ein. Einerseits wollte ich mich damit für ihre Gastfreundschaft revanchieren (ich hatte mehrmals im Haus ihres Onkels gespeist), andererseits wollte ich sie mit meinen Kollegen bekannt machen. Etna erregte in der Öffentlichkeit stets ein gewisses Aufsehen, und mich erfüllte das zuweilen mit einem lächerlichen Stolz, ganz so, als hätte ich sie erschaffen.
    Als ich sie abholte, schneite es eisige Flocken, die die Haut wie Nadelstiche trafen. Der Wind blies sie mir auf meinem Weg horizontal in Mund und Nase. Ich mußte meinen Hut festhalten und meinen Umhang dicht um mich ziehen. Es war ein abscheulicher Tag, und hätte ich nicht ein so brennendes Verlangen nach Etna verspürt, ich hätte die Verabredung abgesagt.
    Als ich das Haus erreichte, öffnete sie mir sofort die Tür, als hätte sie nach mir Ausschau gehalten; und das freute mich.
    »Etna«, sagte ich, während ich die Nässe von Hut und Mantel schüttelte. Ich hielt es für klug, nicht

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