Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
sie.
»Die meisten sicherlich«, antwortete ich und drehte den Kopf, um die Menge zu mustern. Die üblichen Studentencliquen saßen am Fenster und rundherum ein paar Frauen, die im Hinblick auf die heranrückenden Feiertage Einkäufe gemacht hatten, Ehefrauen oder Töchter von Fakultätsmitgliedern, vermutete ich. Als ich mich noch weiter herumdrehte, um auch in die Ecke sehen zu können, entdeckte ich Moxon, der mit einem Buch in der Hand allein saß. Und zu meinem Pech sah er genau in dem Moment auf, als mein Blick auf ihn fiel. Er winkte mir grüßend zu, was bedeutete, daß er gleich aufstehen würde, um sich meiner Begleiterin vorzustellen und, wenn ich es nicht durch irgendein Signal verhindern würde, Etnas beinahe mit Sicherheit zu erwartender Aufforderung, sich zu uns zu setzen, Folge zu leisten.
Moxon war ein hoch aufgeschossener Mann mit hellem Haar und blassem Teint, der mir, auch wenn wir, wie ich bereits erwähnte, nicht im entferntesten den gleichen Geschmack hatten (Moxon war der mit den verschnörkelten Marmoruhren und den Kaminschutzgittern), unter den Kollegen am College am nächsten stand. Wenn wir uns im Speisesaal zusammensetzten, was wir häufig taten, konnten wir uns ebenso mühelos über schwer zu deutende Stellen eines Gedichts unterhalten wie über die verknöcherte Prosa gewisser Essayisten (und gelegentlich auch über widerspenstige Studenten, die man zu bändigen hoffte). Moxon liebte Pferderennen und war ständig unterwegs zu seinem Buchmacher, um Wetten zu placieren, und er hatte großes Interesse an den sportlichen Aktivitäten am College, was man von mir nicht behaupten konnte. Abgesehen von diesen Unterschiedlichkeiten verstanden wir uns so gut, daß wir recht häufig zusammen zu Abend aßen.
»Sie haben einen interessanten Namen«, bemerkte Etna. »Ist es ein …?«
»Es ist ein niederländischer Name«, sagte ich steif. »Der Nachname Van Tassel, meine ich. Nicholas ist natürlich ein alter englischer Name.«
»Wie viele Studenten sind am College eingeschrieben?« fragte sie.
»An die vierhundert«, antwortete ich.
»Und Sie sind gern dort?«
»Doch, ja. Ich hoffe, eines Tages – obwohl ich darüber eigentlich nicht sprechen sollte. Und es wäre mir natürlich lieb, wenn das unter uns bleibt.«
»Aber selbstverständlich.«
»Nun, ich hoffe ganz einfach auf eine höhere Position am College. Noah Fitch, der den Hitchcock-Lehrstuhl für Englische Literatur und Rhetorik innehat, wird in einigen Jahren in den Ruhestand gehen, und ich habe Grund, mir Hoffnungen auf den Posten zu machen. Ich habe viele Ideen, die ich gern in die Tat umsetzen würde.«
»Einige Jahre sind wahrscheinlich keine allzulange Zeit, um auf etwas zu warten, wenn man mit Sicherheit weiß, daß man es bekommen wird?« meinte sie.
»Verlangen nicht die meisten Dinge, auf die es sich zu warten lohnt, Geduld?« fragte ich. »Sie scheinen mir selbst bemerkenswert viel Geduld zu haben.«
»Finden Sie?« fragte sie.
Während sie noch über meine Bemerkung nachdachte, erhob sich neben uns ein ungeschicktes Geflatter langer Gliedmaßen, und als ich aufblickte, war es Moxon, der seinen Überzieher anlegte.
»Nun, Van Tassel, haben Sie Ihren Newman gründlich auseinandergenommen?«
»Miss Bliss, darf ich Sie mit meinem Kollegen Gerard Moxon bekannt machen? Gerard, das ist Miss Etna Bliss, die Nichte von William Bliss, dem Physikprofessor.«
Moxon zog die Augenbrauen hoch. »Es ist mir ein Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen«, sagte er.
»Ganz meinerseits«, antwortete Etna.
Mit seiner Frage bezog sich Moxon auf das Essays and Discourses betitelte Werk von John Henry Newman, das am Tag zuvor in meinem Arbeitszimmer auf dem Tisch gelegen hatte.
»Ich denke, ich kenne meinen Newman gut genug, um den Stoff im nächsten Semester von fünfundzwanzig Studenten zu verlangen«, sagte ich.
»Glauben Sie denn, daß On Saints and Saintliness die Zeit wert ist?«
» The Illative Sense ist es auf jeden Fall«, gab ich ziemlich ungeduldig zurück, da ich nur wünschte, der Mann würde uns endlich allein lassen.
»Miss Bliss, sind Sie aus Thrupp oder halten Sie sich besuchsweise hier auf?«
»Ich bin auf Besuch hier, Professor Moxon.«
»Nun, ich hoffe, Sie unterhalten sich gut, und unser Nicholas ist kein allzu schlimmer Langweiler.«
Die Bemerkung war als Scherz gemeint, aber Moxon hatte seinen Worten keine Spur von Humor mitgegeben, der Moment war deshalb nur peinlich. Etna sah zu ihren Händen
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