Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
an eine Zukunft zu denken. Ich sah Bliss an, daß er befremdet war, aber das legte sich, als ich in beiläufigen Gesprächen nach und nach den Umfang meines bescheidenen Vermögens aufzudecken begann. Und am Ende betrachtete er mich vielleicht als Lösung eines etwas heiklen Problems.
Sooft wie möglich unternahmen Etna und ich in diesem Winter ausgedehnte Spaziergänge, nach denen wir heimkehrten und mit Bliss oder seiner Frau Tee tranken. Ich pflegte punkt drei Uhr vor der Tür zu stehen, mit beinahe verzweifeltem Verlangen, Etna nach einer Trennung von drei oder vier Tagen wiederzusehen. Nach einem kurzen Austausch von Höflichkeiten legte Etna Mantel und Hut an, und wenn sie sich dann bei mir unterhakte, erfaßte mich eine tiefe Erregung. Ich war so süchtig nach diesem Gefühl wie andere nach ihrem Laudanum, und es schien mir Beweis dafür, daß Etna Bliss die Frau war, die mir vom Schicksal zur Gefährtin und Geliebten bestimmt war. (Ich kann allerdings nicht umhin, mich zu fragen, ob wir nicht je nach unseren Lebensbedingungen unsere Bestimmung selbst erfinden und unser Schicksal selbst entwerfen. Wie weit ist Liebe ein Trick unseres Verstands, ein bloßer Akt der Wortakrobatik, dazu dienend, Menschen in unser Leben einzubeziehen, die zufällig unseren Weg kreuzen und genau in diesem Moment unseren Bedürfnissen entsprechen? Ich habe die Lösung dieses Rätsels nie gefunden und glaube nicht, daß es möglich ist, eine eindeutige Antwort zu geben, da die körperlichen Auswirkungen im einen wie im anderen Fall gleichermaßen tiefgehend sind, und dies in einem Maß, das ausreicht, um jeden Unterschied zwischen bloßer Konvenienz und wahrer Bestimmung zu verwischen.)
(Ein Gedankenstrom ist ein außer Kontrolle geratenes Fährwasser, nicht wahr, in dem man wild bald hierhin, bald dorthin geschleudert wird?)
Etna hakte sich also bei mir unter, und dann traten wir hinaus ins Freie. Und gab es je einen Mann, der einen zeitigen Frühling sehnlicher herbeiwünschte? Auf daß uns mehr schöne Tage für unsere Ausflüge beschert würden und auf daß endlich dünnere Stoffschichten Etnas warmen Arm von meiner Hand trennen würden. Unsere Unterhaltung wandte sich den Büchern zu, die ich bei meinem letzten Besuch mitgebracht hatte. Sie las begierig und, das muß ich sagen, sehr aufmerksam. Ich hatte beinahe alle diese Bücher schon einmal gelesen, entweder für den Unterricht oder aus persönlichem Interesse, und manche, wie beispielsweise der Haggard und die Brooke, hatten mich ungeheuer gelangweilt. Aber ich heuchelte wenn nötig Interesse, was mir nicht besonders schwerfiel, da Etnas Begeisterung so ansteckend war. Und manchmal dachte ich, was für eine hervorragende Lehrerin sie hätte werden können (sicher besser als ich, das muß ich an dieser Stelle sagen) und wie jammerschade es war, daß diese Frau außer mir keinen Menschen hatte, an den sie ihre Gaben verschwenden konnte. Ich erkannte allmählich, daß sie eine wunderbare Mutter sein würde, denn sie zeichnete sich durch große Zärtlichkeit aus, wie ich bei ihrem Umgang mit der kleinen Cousine Aurelia beobachten konnte, und durch echte Wißbegier, was bei einer Mutter nicht von Nachteil sein kann, besonders wenn sie es versteht, solches Verlangen an ihre Söhne weiterzugeben.
Ich weiß, das klingt opportunistisch, aber nicht damals bewegten mich diese Gedanken, sie kamen mir eher in der Rückschau. Zu jener Zeit befand ich mich in einem Zustand so tiefer und hilfloser Verzauberung, daß es mir unmöglich gewesen wäre, vernünftige oder gar berechnende Überlegungen anzustellen. Und trotz allem, was später geschah – und obwohl ich mich in einem Leben ohne Leidenschaft einigermaßen eingerichtet habe –, kann ich nichts anderes sagen, als daß ich diesen Zustand vermisse.
Oh, wie sehr ich ihn vermisse!
(Aber hatte ich Etna Bliss eigentlich gern ? Mochte ich sie? Sie besaß zweifellos viele gewinnende Eigenschaften, etwa ein Talent zur Geduld und ein ungezwungenes Lachen, und sie hatte eine Art, vor einem Kind in die Knie zu gehen, um auf gleicher Höhe mit ihm zu sprechen, die hinreißend anzusehen war; aber wenn ich ehrlich sein soll, hatte ich immer ein wenig Furcht vor ihr, stand ihr mit ängstlicher Scheu gegenüber wie der Bittsteller dem Wohltäter. Ich glaube nicht, daß sie die Macht, die sie über mich besaß, je ausgenutzt hat, aber ich bin überzeugt, daß sie sich des Ungleichgewichts zwischen uns stets bewußt war.)
So verflogen die
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