Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
dem Impuls, mich ins Zimmer zu stehlen, nicht widerstehen. Ich hatte keine klare Vorstellung davon, was ich dort eigentlich wollte; es drängte mich einfach, den Dingen , die dem Mann gehörten, näherzukommen – als könnte ich so mehr über meinen Rivalen erfahren. Ich schlüpfte also ins Zimmer und schloß die Tür.
Ashers Schreibtisch war unaufgeräumt, der Aktenschrank stand offen (warum auch sollte jemand seine Brillanz hinter Schloß und Riegel halten?), und der erste Eindruck war der allgemeiner Unordnung – überall Bücher, Fachzeitschriften, auf dem Schreibtisch unzählige persönliche Dinge, Andenken von seinen Reisen, vermutete ich: aufgespießte Schmetterlinge in einem Glaskasten; eine kleine Skulptur aus Speckstein; ein feingearbeitetes indisches Mosaik; ein Druckstempel aus Kupfer mit dem Bild einer Kuh; ein ungewöhnliches Monokel, durch das man seitlich sehen konnte statt geradeaus. Hinter der Schreibmaschine entdeckte ich eine in Silber gerahmte Photographie einer jungen Frau. Sie war blond, ein skandinavischer Typ, ausgesprochen hübsch. Augenblicklich stellte ich mir eine Verlobte in einer fernen Stadt vor – in Oslo vielleicht.
Durch diese Entdeckung ermutigt, riskierte ich einen genaueren Blick auf die Papiere, die im Zimmer verstreut lagen. Ich erinnere mich an eine Abhandlung über die Photographie als Mittel der Geschichtsaufzeichnung, die bei der Akademie für Kunst und Wissenschaft eingereicht worden war. Ich fand Korrespondenz mit einem Professor der Universität von Virginia über eine vorbiblische Geschichte der Sintflut; einen Brief an die Königliche Geographische Gesellschaft mit der Bitte um die Genehmigung, eine Expedition an den Nordpol zur Suche nach dem verschwundenen Forscher Vilhjalmur Stefansson zu begleiten; detaillierte Unterlagen zu einem wissenschaftlichen Vortrag, der im vergangenen Frühjahr an der Medizinischen Fakultät der Universität von Maine in Bowdoin gehalten worden war und sich mit Dr. Gaston Odins Entdeckung der Krebsmikrobe befaßte sowie mit den Möglichkeiten, auf der Grundlage dieser Entdeckung einen Impfstoff zu entwickeln; einen Aufsatz im Atlantic Monthly zur Verteidigung des Pazifismus. Ich lehnte mich in Ashers Schreibtischsessel aus Eichenholz zurück und betrachtete eine Reihe Holzschnitte, die in breiten weißen Rahmen an einer der Wände aufgereiht waren. Wie hatte ein so junger Mann es fertiggebracht, so viel zu publizieren? Die Palette der Begabungen und Interessen, über die dieser Mann verfügte, war stupend.
Es war vielleicht an der Zeit, mich mit der sehr realen Möglichkeit auseinanderzusetzen, daß ich den Posten des Vorstands nicht bekleiden würde. Wäre das so entsetzlich? O ja. Trotzdem mußte man realistisch sein. Man mußte sich rüsten.
Seufzend stand ich auf und wollte gerade das Zimmer verlassen, als mir ein brauner Falthefter ins Auge fiel, der, mit einer Schleife zugebunden, neben dem Schreibtisch auf dem Boden lag. Ich bückte mich, hob ihn auf und knüpfte so vorsichtig wie möglich das Band auf. In der Akte waren Briefe eines Professors am Jesus College in Oxford, der Asher als Gastdozenten einlud. Ich entnahm Kopien von Ashers Antwortbriefen, daß er zumindest erwogen hatte, die Einladung anzunehmen, und während ich die Korrespondenz, in die ich verbotenermaßen Einblick genommen hatte, in der Hand hielt, begann ich ernsthaft zu überlegen: Wenn mich die Entdeckung entmutigt hatte, daß Phillip Asher, Professor an der Yale-Universität, in der Tat einer jener seltenen Männer war, die sich durch geistige Größe auszeichneten, konnte ich dann nicht andererseits aus der Wahrscheinlichkeit Mut schöpfen, daß ein solcher Mann einen Posten in Thrupp verschmähen würde, sobald ihm anderswo ein besseres Angebot gemacht wurde? Ich sann über eine neue Strategie nach. Ich konnte doch den Kollegen zu verstehen geben, daß Asher für Thrupp zu gut war, daß einen solchen Mann die Arbeit an einem Provinzcollege auf die Dauer nicht befriedigen und er sich daher vielleicht von einer renommierteren Hochschule abwerben lassen würde, nachdem unser Verwaltungsrat sich solche Mühe gemacht hatte, ihn für Thrupp zu gewinnen. Auf mich hingegen, Nicholas Van Tassel, war Verlaß. Ich war loyal. Ich hatte schließlich Thrupp mein Leben geweiht, nicht wahr?
Ja, ja, dachte ich, als ich mich mit meinen gestohlenen Erkenntnissen aus dem dämmrigen Zimmer schlich, wobei ich sorgsam darauf achtete, es in dem unordentlichen Zustand
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