Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
daß Asher eine Verlobte hat«, sagte Moxon hilfreich.
»Eine Verlobte?« fragte ich, den Unschuldigen spielend. »Wo denn?«
»Irgendwo im Ausland. In Skandinavien vielleicht. Das ist einer, der sich nicht in die Karten schauen läßt.«
»Stimmt. Ein Geheimniskrämer«, sagte ich. »Keine besonders gute Eigenschaft für den Vorstand eines College.«
»Ich fange jetzt mit dem Skilaufen an«, verkündete Moxon, der in seinen Gedankensprüngen so wild war wie in seiner Gestik.
»Das ist ja eine Neuigkeit!« sagte ich.
»Ich nehme heute nachmittag den Zug nach Quebec.«
»Viel Spaß«, sagte ich und stellte mir Moxon auf Skiern an einem Berghang vor. Trotz dieses äußerst belustigenden Bildes brachte ich die Kalbshaxe, die ich bestellt hatte, kaum hinunter. Ich suchte in dem menschengefüllten großen Raum, in dem die Kellner geschäftig mit ihren Tabletts zwischen den Tischen und der Küche hin und her eilten, nach Phillip Asher, der vielleicht auch hier speiste. Und wenn ich nicht gerade damit beschäftigt war oder versuchte, Moxons wohlwollendem, aber unaufhörlichem Geplauder zu folgen, dachte ich an Etna und fragte mich, wie sie diesen ersten Arbeitstag nach dem Tod ihres Onkels bewältigte.
»Moxon«, sagte ich schließlich, meine Gabel aus der Hand legend, »ich möchte Sie um einen großen Gefallen bitten.«
»Bitte«, sagte er mit vollem Mund.
»Würden Sie mir Ihr Auto leihen?«
»Selbstverständlich«, sagte er. »Ist Ihres in der Werkstatt?«
»Nein. Etna ist damit unterwegs. Sie ist zum Baker-Haus gefahren. Aber ich mache mir Sorgen um sie. Sie arbeitet heute zum erstenmal wieder und ist immer noch sehr anfällig. Ich möchte einfach im Baker-Haus vorbeifahren und nach ihr sehen.«
»Aber natürlich, nehmen Sie meinen Wagen. Unbedingt.« Er wedelte aufgeregt mit den Händen. »Wir können gleich zusammen zur Garage hinübergehen. Ich nutze den Wagen fast nie. Ich muß nie irgendwohin.«
Man mußte Moxon einfach mögen, zum einen wegen seiner Ehrlichkeit, zum anderen wegen seiner Bescheidenheit. Die meisten Menschen in seiner Situation – einer erbärmlichen Situation – hätten es wahrscheinlich für nötig gehalten, sich ein Leben zu erfinden, um in der Öffentlichkeit gut dazustehen.
Durch den atemberaubenden Tag (ich meine das ganz wörtlich, die Luft war so eisig, daß einem beim Atemholen die Lunge weh tat) gingen wir zusammen zu Moxons Haus. Ich hatte zunächst etwas Mühe mit Moxons Automobil, einem gelben Stevens-Duryea, der einiges Gefummel mit Zündvorrichtung und Choke verlangte, bevor man den Motor starten konnte. Zuerst setzte sich Moxon ans Steuer und fuhr mehrere Runden in seinem gefrorenen Vorgarten, bis ich es mir zutraute, selbst zu lenken, und auf die rechte Seite hinüberrutschte. Er lieh mir seinen Skunkpelz für die Fahrt, da es im Wagen beinahe so kalt war wie draußen, dann wagte ich mich auf die Straße hinaus.
In den vergangenen Jahren war ich mehrmals im Baker-Haus gewesen, insgesamt vielleicht fünf- oder sechsmal zu verschiedenen Veranstaltungen, ich kannte also den Weg. Die unbefestigte Straße war holprig, und es dauerte eine Weile, bis ich mich an das Schlingern und Hoppeln der Räder gewöhnt hatte. Ich war froh, daß kaum jemand unterwegs war, denn mein Fahrstil war sehr eigenwillig, und es wäre mir entsetzlich gewesen, womöglich einen Zusammenstoß mit einem anderen Auto zu verursachen.
Das Haus lag in der Norfolk Street Nr. 18 in Worthington. Im Jahr 1880 hatten die beiden Schwestern Baker zum erstenmal Arme und Kranke aus der Nachbarschaft in ihrem Heim aufgenommen. Da es in diesem Teil New Hampshires damals nur wenige derartige Einrichtungen gab, war das Haus vergrößert worden, um auch Bedürftige aus anderen Ortschaften des Bezirks, wie zum Beispiel Thrupp, aufnehmen zu können.
Das Äußere des Gebäudes verriet nichts über seine Nutzung. Es war ein gefälliges gelbes Holzschindelhaus im Kolonialstil mit dunkelgrünen Fensterläden. Es hatte vorn zwei Eingangstüren (warum, weiß ich nicht), und in dem schmalen Garten, den zur Straße hin ein schöner schmiedeeiserner Zaun begrenzte, standen mehrere Ulmen. Auf der breiten Vorderveranda konnte man an schönen Tagen jederzeit ein halbes Dutzend Frauen und Kinder in der Sonne sitzen sehen. Nur an der Kleidung und dem Verhalten dieser Unglücklichen war zu erkennen, daß dieser schöne Bau ein Armenhaus war und nicht das Heim einer rechtschaffenen Worthingtoner Familie.
Ich stellte den Wagen
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