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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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zurückzulassen, in dem ich es vorgefunden hatte. Ja, diese Überlegungen waren von unschlagbarer Logik und sollten dem Verwaltungsrat so bald wie möglich mitgeteilt werden, auf ganz subtile Weise natürlich. Bis zur Abstimmung waren es an diesem Novembernachmittag nur noch vierzehn Tage.
    Kurz vor Thanksgiving nahm Etna ihre wohltätige Arbeit wieder auf. Man brauche sie im Baker-Haus, erklärte sie eines Morgens, als ich eine Bemerkung darüber machte, daß sie gekleidet war, als wollte sie das soziale Wohnheim aufsuchen. Sie trug ein Nadelstreifenkostüm mit hohem Kragen. Ja, sagte sie, genau das habe sie vor; es sei an der Zeit. Ich stimmte ihr aus vollem Herzen zu, ich wollte sie wieder im Vollbesitz ihrer Kraft sehen. Das Leben mußte schließlich weitergehen. Die Kinder konnten nicht ewig stillgehalten werden, und die Armen und Bedürftigen würden nicht aussterben.
    »Sehr gut«, sagte ich.
    Da ich an diesem Tag keinen Unterricht hatte, beschloß ich, den Morgen in meiner Bibliothek in Gesellschaft meiner Bücher zu verbringen. Ich hatte viel zu tun (dieser nicht enden wollende Strom von Aufsätzen), aber mit dem Fortschreiten des Morgens merkte ich, daß ich mich nicht auf die Arbeit konzentrieren konnte. Eine Zeitlang stand ich vor dem Fenster und schaute in den Garten hinaus – jetzt nur noch dürre Stengel und vertrocknete Blumen –, dann wanderte ich in die Küche, um mir von Mary eine Tasse Tee machen zu lassen. Ich kehrte in die Bibliothek zurück und setzte mich an meinen Schreibtisch, ständig ein Bild Phillip Ashers vor Augen, wie er, hinter einem Pult stehend, seine erste Ansprache als neuer Vorstand von Thrupp an das versammelte Kollegium hielt. Ich ging zum Bücherschrank, kehrte zum Schreibtisch zurück, wanderte wieder zum Bücherschrank. Ab und zu gelang es mir, die Gedanken, die mich besetzt hielten, abzuschütteln, aber schon nach kurzer Zeit ergriffen sie erneut Besitz von mir. Als Folge dieser geistigen Anstrengungen fühlte ich mich bald völlig erschöpft.
    Ich fand, ich brauchte einen Spaziergang. Ich würde zu Fuß zur Stadt gehen und dort zu Mittag essen. Ja, ja, gute Idee, dachte ich. Vielleicht war Moxon da. Ich brauchte männliche Gesellschaft der leichten Art, jemanden, der mich aufmunterte. Möglicherweise brütete ich eine Krankheit aus. Man hörte natürlich von Hysterie bei Frauen, aber daß ein solcher Zustand auch einen Mann befallen könnte, das war ganz undenkbar; nein, nein, Hysterie konnte schon per definitionem bei Männern nicht vorkommen, sie war ja eine rein weibliche Krankheit. Trotzdem fürchtete man, sich ein wenig zu tief in den eigenen Tagträumen zu verlieren.
    Ich telephonierte also mit Moxon und machte ihm den Vorschlag, sich im Speisesaal des Hotels mit mir zu treffen. Er war sofort einverstanden. (Der arme Moxon. Ich glaube, er war einsam.)
    Zu dieser mittäglichen Stunde war es voll im Speisesaal. Moxon wartete bereits an einem Tisch, als ich eintraf. Er winkte mir wild wedelnd zu, etwa so wie jemand, der sich im Gebirge verirrt hat und nach mehreren Nächten auf einsamer Bergeshöhe endlich gefunden wird. Er trug einen gestreiften Wollanzug, der ausländischer Machart zu sein schien (aber nicht feiner englischer, eher schon bulgarischer). Woher er das Ding hatte, weiß ich bis heute nicht. Moxon sah häufig so aus, als hätte er sich im Dunkeln angekleidet.
    »Nicholas«, sagte er, als ich mich gesetzt hatte. »Wie geht es Etna?«
    »Besser«, antwortete ich. »Sie arbeitet wieder im Heim.« Ich sah mir die handgeschriebene Karte an. Das Tagesgericht war Kalbshaxe. Zufällig aß ich Kalbshaxe recht gern.
    »Sie hat blaß ausgesehen, als ich letzte Woche bei Ihnen war«, sagte Moxon.
    »Sie hat ziemlich gelitten«, erwiderte ich und trank einen Schluck Wasser.
    »Der Ober hat die Fleischpastete empfohlen.«
    »Ich nehme die Kalbshaxe.« Ich legte die Karte zur Seite.
    »Kein Unterricht heute?« fragte Moxon.
    »Nein. Und Sie – genießen Sie Ihren Urlaub?«
    »Die Studenten fehlen mir«, sagte Moxon.
    »Im Ernst?« fragte ich höchst erstaunt. Ein Urlaub ohne Studenten wurde im allgemeinen als Segen empfunden.
    »Sie sehen so blaß aus wie Etna«, bemerkte Moxon.
    »Ich habe in letzter Zeit schlecht geschlafen«, sagte ich.
    »Sie nehmen sich die Abstimmung zu sehr zu Herzen«, meinte Moxon. Hinter der tolpatschigen Fassade verbarg sich ein Mensch mit großem Einfühlungsvermögen.
    »Es geht um meine Zukunft«, erwiderte ich.
    »Ich habe gehört,

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