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Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Alles, was er wollte: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was er wollte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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gaben uns alle Mühe, sie aufzumuntern, aber es zeigte sich sehr bald, daß Etna sich an einen inneren Ort zurückgezogen hatte, den zu verlassen sie nicht zu bewegen war. So ging das einige Wochen bis in den November hinein, und ich war nahe daran, den Arzt zu holen, da ich allmählich den Eindruck gewann, Etnas Schmerz stehe in keinem Verhältnis zu seinem Anlaß.
    Vielleicht erkannte sie, daß ich Angst um sie bekam, denn eines Morgens fand ich sie, beinahe normal aussehend, die Augen nicht mehr gerötet wie bisher, am Frühstückstisch vor. Sie versuchte ein Lächeln, und ich hatte das Gefühl, der Versuch koste sie übermenschliche Kraft.
    »Etna«, sagte ich. »Ich bin so froh, dich gesund und munter zu sehen.«
    »Ich bin gesund, aber nicht gerade munter«, sagte sie.
    »Trotzdem.«
    »Es war nicht gut für die Kinder.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Ich – es ist mir ziemlich …«, sie holte hastig Atem, aber ich sah dennoch das leichte Beben ihrer Unterlippe, »… schlecht gegangen«, sagte sie.
    Ich würde vorsichtig mit ihr umgehen und versuchen, das Gespräch in ruhigen Bahnen zu halten, fern von Themen wie Tod und Traurigkeit.
    »Du siehst heute morgen sehr hübsch aus«, sagte ich, und es war wahr. Sie trug eine hochgeschlossene Bluse aus indigoblauer Seide, dazu eine lange Jettperlenschnur, die zu den Schmuckknöpfen der Bluse und den zarten Ohrgehängen paßte.
    »Danke«, sagte sie.
    »Möchtest du eine Tasse Kaffee?«
    »Danke, nein, ich habe schon Kaffee getrunken. Ich bin schon eine ganze Weile hier unten.«
    »Du schreibst deine Liste«, sagte ich, während ich die Serviette auf meinem Schoß ausbreitete. Ich sah mir mein Frühstück an. Es gab irgendein Fleisch. Nierchen vielleicht. Oder Leber. Es sah dunkel aus, als hätte es zu lange in der Pfanne gelegen.
    »Ja«, antwortete sie. »Ich fahre heute in die Stadt und kaufe ein. Brauchst du etwas?«
    »Ich brauche einen neuen Rasierpinsel«, sagte ich. »Und Schuhcreme. Und Tinte für meinen Schreibtisch. Aber ich kann mir diese Dinge auch selbst besorgen, wenn ich in der Stadt bin.«
    »Laß es mich machen«, sagte sie. »Es ist besser, wenn ich etwas zu tun habe.«
    »Na, wenn es so ist, hätte ich gern noch ein Glas von der Brombeerkonfitüre, die es im letzten Monat zum Frühstück gab. Am liebsten hätte ich sie jetzt gleich. Was ist das eigentlich für Fleisch?«
    Etna warf einen Blick auf meinen Teller. Sie rümpfte die Nase. »Ich werde mit Mary sprechen«, sagte sie mit gedämpftem Ärger. Es war offensichtlich, daß unsere Köchin während der Abwesenheit ihrer Herrin sehr nachlässig geworden war.
    Etna notierte sich etwas auf dem Schreibblock, der neben einem Stapel Briefe lag – die meisten davon vermutlich Beileidsschreiben. »Ich weiß nicht, ob es die Konfitüre um diese Jahreszeit gibt«, sagte sie.
    Und ich, froh, meine Frau von alltäglichen Dingen sprechen zu hören, konnte nur lächeln. Ich legte meine Hand auf die ihre. »Ich freue mich so, daß du wieder da bist«, sagte ich.
    Die Tage vergingen. Ich stand morgens auf, frühstückte, vermied jedes Thema, das Etna hätte beunruhigen können. Ich ging zu meinen Seminaren, unterrichtete meine Studenten, korrigierte Stapel von langweiligen Aufsätzen. Dabei befand ich mich beinahe die ganze Zeit in einem Zustand ängstlicher Erregung: um Etna besorgt, in Unruhe wegen der bevorstehenden Wahl, um den Schlaf gebracht von Gedanken an Phillip Asher, dessen Vorlesungen so brillant waren, wie man sie angekündigt hatte.
    Ich begann, Asher vor meinen Kollegen schlechtzumachen. »Der Mann hat keine Ahnung von Jonson«, sagte ich, und manchmal bemerkte ich auf den Gesichtern meiner Kollegen einen Ausdruck mißtrauischer Skepsis oder des Mitleids. War ich so leicht zu durchschauen? Sie hatten den Geruch der Rivalität gewittert, und vielleicht fanden sie das Ganze in gewisser Weise vergnüglich, denn sie schienen auch erheitert.
    Eines Nachmittags mußte ich in die Chandler Hall, um Moxon ein Buch zurückzugeben, das ich mir von ihm ausgeliehen hatte. Auf dem Weg durch den Korridor kam ich an der geschlossenen Tür von Phillip Ashers Zimmer vorbei. Ich wußte, daß er um diese Zeit in der Aula war, wo er eine Vorlesung über das Gute und das Böse in Das verlorene Paradies hielt (nicht unbedingt eine Herausforderung, dieses Thema). Ich ging also an der geschlossenen Tür vorüber, tat so, als hätte ich etwas vergessen, und kehrte um. Wieder kam ich zu der Tür, und diesmal konnte ich

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