Alles, was er wollte: Roman (German Edition)
und griff nach einer silbernen Dose auf meinem Schreibtisch. »Zigarette?« fragte ich. »Oder rauchen Sie Pfeife?«
»Weder noch.«
Wir tranken. Asher hatte die Beine übereinandergeschlagen, was seine Langgliedrigkeit noch betonte. In einer Pose ungezwungener Eleganz saß er da, aber mir schien, als hätte sein selbstsicheres Auftreten auf dem Weg vom Vestibül in die Bibliothek ein wenig gelitten. Von Zeit zu Zeit wippte er mit dem Fuß.
»Ihre Vorlesungen waren außergewöhnlich«, sagte ich. »Im ganzen College spricht man von nichts anderem.«
»Finden Sie?« erwiderte er.
»Ihre Ausführungen haben selbst in den unwahrscheinlichsten Ecken heftige Diskussionen ausgelöst. Genau das ist der Sinn dieser Vorlesungsreihe, ich denke also, man kann ruhig sagen, daß Sie Ihre Sache großartig gemacht haben.«
»Eine Vorlesung steht noch aus«, sagte er.
»Und dann kehren Sie nach New Haven zurück?«
»Ich weiß es noch nicht.« Er ließ das übergeschlagene Bein abwärts gleiten, bis sein Fuß den Boden berührte. »Man muß die Wahl abwarten.«
»Sie sind also noch im Rennen?«
»Ich denke schon«, antwortete er und trank noch einen Schluck Brandy.
Ich hatte dafür gesorgt, daß das Licht im Arbeitszimmer gedämpft war. Im offenen Kamin knisterte das Holz.
»Es wundert mich«, sagte ich, während ich die ölige Flüssigkeit in meinem Glas schwenkte, »daß Sie nicht einen Posten an einer renommierteren Hochschule in Betracht gezogen haben. In Oxford zum Beispiel.«
Asher warf mir einen scharfen Blick zu. Ich kann nur vermuten, was er dachte. Fragte er sich vielleicht, ob ich von dem Angebot des Jesus College wußte? Oder nahm er eher an, daß ich nur zufällig ins Schwarze getroffen hatte?
»Es ist keine besonders günstige Zeit, um ins Ausland zu gehen«, sagte Asher bedächtig.
»Das ist wohl wahr«, antwortete ich. (Es war schließlich Krieg.)
Asher sah zu seinem Glas hinunter.
»Ich bin neulich im Atlantic Monthly auf einen Artikel von Ihnen zum Pazifismus gestoßen«, bemerkte ich.
»Tatsächlich?« fragte er sehr überrascht.
»Würden Sie nicht an die Front gehen, wenn Ihr Land es verlangte?«
»Ich bin schon zu alt«, sagte er.
»Dann sind Ihre Argumente also rein theoretischer Natur. Sie betreffen Sie nicht unmittelbar.«
»Nein.« Er setzte sich ein wenig zurecht. »Aber sie sind darum nicht weniger tief empfunden. Ich stehe fest dazu.«
»Sind Sie Atheist?«
»Nein.«
»Bemerkenswert«, sagte ich.
»Bemerkenswert?«
»Nun, die Beschäftigung mit Nietzsche.«
»Das ist nur ein Forschungsgebiet.«
»Natürlich. Dann sind Sie wohl Quäker?« fragte ich.
»Nein.«
»Ja, aber was sind Sie denn dann, wenn ich fragen darf?«
Es war natürlich eine unverschämte Frage, und selbst heute weiß ich eigentlich nicht, warum ich ihn so in die Enge trieb. Hat Asher damals gezögert? Ja, da bin ich sicher. Aber nicht aus Furcht, sondern in Vorbereitung auf die Reaktion, die seine Antwort hervorrufen würde. Er schaute einen Moment von mir weg, dann blickte er mich wieder an. »Ich bin Jude«, sagte er.
Ich saß wie erstarrt, meine Hand mit dem Glas auf halbem Weg zum Mund. Ich glaube, keine andere Auskunft Ashers hätte mich mehr überraschen können. Ich bin Chinese. Ich bin Shamane. Ich bin Zigeuner .
»Tatsächlich«, sagte ich schließlich und trank.
War der Name Asher, der so eindeutig englisch klang, in Wirklichkeit ein jüdischer Name? Wußte der Verwaltungsrat, daß er einen Juden für das Amt des Vorstands des Thrupp College in Betracht zog, einer Hochschule, die meines Wissens nie zuvor einen Angehörigen des jüdischen Glaubens eingestellt hatte? Der unerklärliche Abstieg von London nach Cambridge nach New Haven nach Thrupp wurde mir nun begreiflicher.
(Ich schäme mich heute dieser opportunistischen Überlegungen. Zu meiner Entschuldigung – wenn Entschuldigungen überhaupt denkbar sind – kann ich nur sagen, daß zur damaligen Zeit jüdische Hochschullehrer außerhalb Europas eine Seltenheit und an einer Institution wie Thrupp etwas Niedagewesenes waren. Heute sieht das natürlich ganz anders aus. Ich weiß, daß allein an unserem College drei jüdische Wissenschaftler für die Besetzung unterschiedlicher Posten in Erwägung gezogen wurden: Isaiah Gordon, Robert Newman und Jerome Sills. Es wurde allerdings keiner von ihnen genommen.)
»Pazifisten gibt es überall«, sagte Asher.
»In Thrupp nicht, das können Sie mir glauben«, erwiderte ich, als ich die Fassung
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