Alles was ich sage ist wahr
bin weder noch. Trotzdem kann ich mich nicht beherrschen, mit dem Fuß in einem Laubhaufen rumzuquirlen, als wäre es ein Fußball, und begeistert zuzuschauen, wie die Blätter durch die Luft fliegen, auf den Asphalt segeln und verstreut auf der Erde liegen bleiben. Ich würde gern in was reinbeißen. Egal was.
Isak ist mit seinem Rad in seine Richtung gefahren, und ich spaziere so gemütlich, wie ich kann, zu dem Viertel, in dem wir wohnen. Meine Hüftknochen tun ein bisschen weh. Da muss irgendein Muskel sitzen, der zum ersten Mal aktiviert wurde. Ob ich morgen Muskelkater habe? Hoffentlich. Ich möchte gern daran erinnert werden.
Ich atme mit jedem Atemzug so viel Luft ein, wie ich kann, und es ist kalt und ich bin müde und ich hab noch nie in meinem Leben so viel auf einmal gefühlt. Es ist, als wären die Farben um mich herum intensiver geworden. Bin ich das, die hier mit schmerzenden Hüften läuft und sich ausgeweint hat? Die Wirklichkeit fühlt sich so unwirklich an. Aber sie fühlt sich auf alle Fälle nach etwas an. Im ganzen Körper, überall. Ich bin begeistert.
* * *
Verrat es niemandem, aber ich vermisse dich ein bisschen.
Die Mitteilung finde ich eine Stunde nachdem ich zu Hause angekommen bin und mich bei Facebook eingeloggt habe. Das muss er, unmittelbar nachdem wir uns getrennt haben, geschrieben haben. Mein Gesicht spiegelt sich auf dem Bildschirm. Ich sehe, dass ich lächele.
* * *
Fanny möchte, dass ich mit ihr zur Klassenfete gehe. Sie will das so unbedingt, dass sie völlig vergisst, mich zu fragen, was ich seit unserem letzten Treffen gemacht habe. Bemerkenswert.
»Bitte«, sagt sie. »Um der alten Zeiten willen. Das wird der Hit!«
Ich sage ihr, dass ich gar nicht mehr in die Klasse gehe, aber das nützt nichts. Sie liegt mir weiter in den Ohren, und ich unterbreche sie nicht einmal, um ihr von Isak zu erzählen. Interessant. Warum nicht?
»Komm schon. Die Abwechslung wird dir guttun. Du kannst nicht die ganze Zeit zu Hause rumhocken und trauern.«
Ist es, weil es so unwirklich ist, darüber zu reden, weil ich nicht weiß, was ich sagen soll? Vielleicht. Manche Dinge lassen sich nicht in Worte fassen.
Erst haben wir gefroren, dann sind wir in Omas Wohnung gegangen, da hab ich dann geheult und danach haben wir auf dem Küchenfußboden zusammen geschlafen. Das war toll.
Wie klingt das denn? Ich höre schon Fannys Folgefragen, ehe sie sie überhaupt gedacht hat. Und jetzt? , würde sie fragen, nachdem sie ungefähr eine Viertelstunde nach Luft geschnappt hat. Wie geht’s jetzt weiter? Ich bin noch nicht so weit, solche Fragen zu beantworten, weil ich keinen Schimmer habe. Also warte ich mit dem Erzählen. Ein bisschen, wenigstens.
»Wo findet die Fete statt?«, frage ich stattdessen.
Fanny reißt die Arme in die Luft.
»Hurra!«, ruft sie. »Du bist dabei!«
Ich ziehe die Schultern hoch und lasse ihr die Freude.
»Bei Agnes. Ihre Eltern sind verreist und alle Netten aus der Klasse kommen, das wird cool, was ziehst du an?«
Alle Netten aus der Klasse, denke ich. Das können ja nicht viele sein! Aber ich sage nichts, weil Fanny so happy ist, und sie hat ja recht, ich kann nicht die ganze Zeit zu Hause hocken und traurig sein. Irgendwas muss ich schließlich machen.
»Weiß nicht«, sage ich mit einem Blick auf meinen Kleiderschrank. »Hilfst du mir?«
Ich habe die Frage noch nicht einmal gestellt, als Fanny sich schon mit einer bemerkenswerten Energie auf meine Klamotten stürzt. Kleider und Röcke, Pullover und Haarbänder fliegen aus den Regalen, ich kann kaum folgen, auf was sie es abgesehen hat. Meine Güte, sie scheint völlig ausgehungert nach einem normalen Umgang mit ihrer besten Freundin zu sein, die Arme.
»Das hier«, sagt sie bestimmt und hält ein knallblaues T-Shirt mit kleinen, rosa Pferden darauf vor mir hoch. »Da siehst du so klasse drin aus. Dazu Jeans. Und dann der rosa Schmetterling, den du dir immer ins Haar steckst.«
»Alright«, sage ich folgsam. »Das könnte gehen.«
Fanny klatscht in die Hände wie ein begeistertes Kind.
»Hurra!«, ruft sie noch einmal. »Oh, das wird der Oberspaß!«
* * *
Hallo.
Isaks Profilbild taucht im Chatfenster auf.
Erinnerst du dich noch an mich?
Ich schaue das kleine, viereckige Foto an und finde ihn plötzlich gar nicht mehr unnahbar. Eher in sich selbst ruhend. Und ziemlich cool. Ich habe nichts von mir hören lassen, seit wir uns vor zwei Tagen vor Omas Wohnung verabschiedet haben. Noch nicht mal auf seine
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