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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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eiligen Menschen, aber er ging mit ihr zu dem Picasso gewidmeten Museum auf der Rue de Thorigny, um ihr die Bilder und Radierungen zu zeigen – viele davon grotesk, andere unübertroffen –, die Picasso von Marie-Thérèse Walter während ihrer langen Liebschaft in den 1920er und 30er Jahren angefertigt hatte. Ein paar waren an einem einzigen inspirierten Nachmittag oder innerhalb weniger Tage entstanden. Sie war naiv und gefügig gewesen, als er ihr begegnete, und er lehrte sie die Liebe zu seinen Bedingungen. Er malte sie gerne in Gedanken oder wenn sie schlief, und seine Radierungen von ihr sind schöner als jede Inkarnation, im Grunde anbetungswürdig. Bei ihrer Betrachtung spürt man die wahre Bedeutung der Dinge, wie das Leben gelebt werden kann.
    Obwohl er sie zu einer Ikone machte, interessierte sie sich nicht für die Kunst oder die Kreise, in denen er sich bewegte, und Picasso nahm sich schließlich eine andere Frau.
    Sie erinnerte sich an ein Treffen mit einem Mann, den Philip besonders mochte, ein Verleger, Christian soundso, ein großer, weißhaariger Mann mit manikürten Händen. Es war in einer Hotelbar, unweit von seinem Büro, wo er jeden Nachmittag nach der Arbeit in einem der Ledersessel saß und sich bei einem Drink unterhielt. Er hinterließ den Eindruck von einem kräftigen Mann, der nach Seife und Eau de Cologne roch. Er füllte den Sessel aus. Er war wie ein großes, heiliges Tier, ein fetter Stier, der sich in seinem Stall kaum noch regen konnte, aber immer noch prächtig war. Er war herzlich und sprach über Gide und Malraux und andere, deren Namen sie nicht kannte.
    »Sind Sie Schriftstellerin, mademoiselle ?«, fragte er.
    »Nein«, sagte sie.
    »Vor dem hier müssen Sie sich in Acht nehmen«, sagte er und zeigte in Philips Richtung. »Das wissen Sie doch.«
    »Ich weiß«, sagte sie.
    Er nahm an, was alle annahmen und was ihr ein wenig peinlich war, allerdings nicht immer. Auf der Straße war es ihr nicht peinlich, auch nicht im Restaurant, aber in Geschäften.
    Auf dem Weg zurück ins Hotel machten sie kurz halt, und sie schrieb auf der Terrasse eines Restaurants mit gläsernen Faltwänden zum Gehweg ein paar Postkarten.
    »Wem schreibst du?«
    Sie schrieb ihrer Zimmergenossin – du kennst sie nicht – und an Sophie.
    »Ah, wieder Sophie.«
    »Sie ist toll. Du würdest sie mögen.«
    »Schreibst du auch deiner Mutter?«
    »Machst du Witze? Sie glaubt, ich hätte ein Bewerbungsgespräch.« Sie hörte kurz auf zu schreiben und sagte mit Blick auf die Karte: »Weißt du, du solltest es mir wirklich sagen. Bist du noch wütend auf sie? Hast du ihr vergeben?«
    »Ich bin dabei«, sagte er.
    Er rauchte eine Zigarette, eine französische Zigarette. Sie schien dicker als die anderen. Er führte sie ein wenig ungeübt an die Lippen, nahm einen kurzen Zug, und während blauer Rauch vor seinem Gesicht aufstieg, atmete er wieder aus.
    »Stört dich der Rauch?«
    »Nein, ich mag den Geruch.«
    »Du hast nie geraucht, oder?«
    »Nein, außer vielleicht mal einen Joint.«
    »Früher war es Frauen nicht erlaubt zu rauchen.«
    »Was meinst du mit nicht erlaubt?«
    »Es war ihnen schon erlaubt, aber es schickte sich nicht. Keine Frau hätte in der Öffentlichkeit geraucht.«
    »Wann war das denn? Im Mittelalter?«
    »Nein, vor dem Krieg.«
    »Welchem Krieg?«
    »Dem Weltkrieg. Dem Ersten.«
    »Nicht wahr.«
    »Es stimmt.«
    »Unglaublich«, sagte sie. »Lass mich mal probieren.«
    Sie nahm die Zigarette, zog kurz daran und hustete. Sie gab sie ihm zurück.
    »Hier.«
    »Zu stark?«
    »Viel zu stark.«
    Sie gingen im Flo zu Abend essen.
    »Im Floh?«, sagte sie.
    Es war am Ende einer dunklen Gasse, in der man kein Restaurant vermuten würde. Schließlich erreichten sie es.
    »Ah«, sagte sie, als sie das Schild sah. »Es heißt nur Flo.«
    »Ja, das ›h‹ ist stumm«, sagte er.
    Sie saßen in einer Nische, etwas zu nah an der Küche, aber das Essen war sehr gut. Gegen Ende bekamen sie einen Streit mit. Geschirr ging zu Bruch, und eine Frau in einem schwarzen Mantel wurde laut und fing an, den Geschäftsführer zu schlagen. Er versuchte, sie aus der Tür zu schieben. Schließlich gelang es ihm, und sie stand fluchend auf der Straße. Ein Kellner brachte ihr die Handtasche nach draußen. Sie rief dem Geschäftsführer noch etwas zu, der sich leicht verbeugte. Guten Abend, madame , sagte er zu ihr. A demain , sagte er.
    Anet hatte keine Ahnung, wo das Flo eigentlich lag. Es war irgendwo in Paris. Sie

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