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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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Seiten und dem Meer, das sich in einer langen weißen Linie am Ufer brach. Es war kaum Verkehr. Er war früh aufgestanden und hatte leise seine Sachen zusammengepackt. Sie schlief, ein Arm unter das Kissen geschoben, ein nacktes Bein lag frei. Sie sah so frisch aus, selbst jetzt danach. Er hatte ihrer Mutter vergeben. Komm und hol deine Tochter, dachte er. An der Tür blieb er stehen und sah sie ein letztes Mal an. Er bezahlte die Rechnung, während er auf das Taxi wartete. Er versuchte nicht, sich vorzustellen, was sie tun würde.

28. Tivoli
    Von den Leuten, die etwa zur gleichen Zeit angefangen hatten wie er, hatte es Glenda Wallace weit gebracht. Sie arbeitete als Cheflektorin, hatte eine sehr bestimmte und direkte Art – früher, als sie jünger war, vielleicht noch etwas weniger – und sich mit der Zeit ein harsches, bitteres Lachen angewöhnt. Sie war nie verheiratet gewesen. Sie hatte einen kranken Vater, um den sie sich jahrelang gekümmert hatte. Nachdem er gestorben war, kaufte sie sich ein Haus in Tivoli, einem Städtchen am Hudson hinter Poughkeepsie. Sie hatte keine Verbindung zu dem Ort, sie fuhr hin, und es gefiel ihr einfach, das kleine Geschäftsviertel, das Gefühl der Abgeschiedenheit und die Straße mit den alten Häusern, die zum Fluss hinunterführte.
    Als Lektorin hatte sie wenig mit Romanen zu tun, und sie las auch nur selten welche. Sie publizierte Bücher über Politik und Geschichte, auch Biografien, und genoss einiges Ansehen. Sie war mit den Jahren kleiner geworden, und Bowman bemerkte eines Tages erstmals, dass sie krumme Beine hatte. Er bewunderte sie, und wegen ihr und ihres Hauses, wodurch ihm der Ort nicht mehr ganz so abgelegen schien, mietete er sich im folgenden Jahr in Tivoli ein Haus.
    Es war eine schöne Fahrt, Richtung Norden am Saw Mill River entlang, zum großen Teil durch bewaldetes Gebiet mit nur wenig Industrie, fühlte sich aber auch fremd an. Wainscott und die Orte in der Umgebung waren zu einer Art Heimat geworden, und er hatte beschlossen, an einen anderen Ort zu gehen. Nicht aus Angst, er könnte Christine oder ihrer Tochter begegnen, sondern einfach, um die Möglichkeit auszuschließen, um das Ganze hinter sich zu lassen. Er wollte nicht an das, was geschehen war, erinnert werden. Auch wenn es ihm nichts ausmachte, an Teile davon zu denken, den Teil in Paris.
    Das Haus gehörte einem Professor für Ökonomie am Bard College, der ein Fellowship für Europa erhalten hatte und mit seiner Familie ein Jahr verreist war. Das akademische Leben hatte seine Beschränkungen. Das Haus war an sich sehr hübsch, aber vom Kamin einmal abgesehen, gab es im Wohnzimmer nicht viel, ein Sofa, ein paar Stühle und einen kleinen Tisch. Das Geschirr war aus Plastik, die Gläser zusammengestückelt, aber die Küche hatte einen Zugang zu einem kleinen Garten mit einer Hecke darum und einer Holzpforte zur Straße.
    Das Haus und seine bescheidenen Annehmlichkeiten ließen das Verlagsleben sehr reich und sinnenfroh erscheinen, wenn auch nicht so sinnenfroh, wie es einmal gewesen war. Es hatte sich seit den Tagen, als sie nur acht Leute im ganzen Haus waren und Schriftsteller manchmal nach einer langen Nacht in den vielen Bars am Ende des Gangs auf einer Couch schliefen, sehr verändert. Und es hatte immer irgendein Dinner und lange Nächte gegeben. Abende in Köln mit Karl Maria Löhr, der einfach nicht müde wurde und irgendwann unzusammenhängendes Zeug erzählte, durch diese Gelage aber auch Schriftsteller an sich band. Nächte in der deutschen Dunkelheit, und sie fuhren im eisigen Nebel durch die Stadt. Man erinnerte sich nicht, wo man gewesen war oder was geredet wurde, aber das machte nichts. Es gab eine Vertrautheit untereinander. Danach sprach man wie unter Freunden. Er hatte sich einige Male überlegt, selbst Verleger zu werden. Er brächte wahrscheinlich das Temperament dazu mit, nur hatte er den geschäftlichen Teil nie gemocht. Das wäre dann Aufgabe für einen kongenialen Partner, der sich gern damit befasste, aber den hatte er nie getroffen, zumindest nicht im richtigen Moment.
    Die Bedeutung des Romans im kulturellen Verständnis des Landes hatte an Kraft verloren. Es war allmählich passiert. Es war etwas, das jeder wusste, aber ignorierte. Alles lief weiter wie zuvor, das war das Schöne daran. Der Glanz von einst war verschwunden, aber es tauchten immer neue Gesichter auf, wollten daran teilhaben, in einem der Verlage arbeiten, die eine Aura von Eleganz bewahrten wie die

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