Alles, was ist: Roman (German Edition)
Piermont im Sbordone’s mit Stanley und seiner Freundin. Die Kellnerin hatte Schmerzen in den Beinen und war am Ende des Abends so müde, dass sie sich zu ihnen setzte. Am Neujahrstag, der still und strahlend begann, wachte Eddins frühmorgens in der Behaglichkeit seines eigenen Bettes auf. Dena schlief sanft neben ihm, ihr Gesicht schien so friedlich und rein, wie es nur möglich war. Er fühlte sich etwas rau, aber frisch und voller Begehren. Er zog die Decke ein Stück nach unten und streichelte sie, bis sie halb erwachte, seine Hand strich über ihr Kreuz und weiter. Er spürte ihre ermutigende Hand. Sie konnten ihren Sohn unten spielen hören und gaben acht, keine Geräusche zu machen, während sie den neuen Tag begrüßten. Danach lagen sie halbschlafend im Arm des anderen. Es war Neujahr 1969.
14. Moravin
Ein alter Schriftsteller, William Swangren, der aufgrund ein oder zwei früher Erfolge noch immer sehr geschätzt wurde, hatte einen Roman eingereicht, den sie würden ablehnen müssen, eine Art amerikanisches Tod in Venedig , elegant konstruiert, aber seiner Zeit hinterher, und Bowman, der die Nachricht überbringen musste, hatte den alten Mann zum Lunch eingeladen. Er könne nicht zum Lunch kommen, erklärte Swangren, es wäre günstiger, wenn sie sich in seinem Apartment träfen. Von seiner Herrlichkeit ein wenig abgestoßen, willigte Bowman dennoch ein.
Das Gebäude, ein weißer, gleichförmiger Backsteinbau in einer Seitenstraße der Second Avenue, war nicht, was er erwartet hatte. Die Lobby war klein, und der Aufzug wurde von einem Pförtner ohne Uniform bedient. Swangren öffnete ihm in einem karierten Hemd und Fliege die Tür. Es war ein kleines, zugestelltes Apartment mit Blick auf die Fassaden der Gebäude gegenüber. Die Möbel folgten keinem bestimmten Stil, es gab eine Couch, die man zum Bett ausklappen konnte, einige Bücherschränke, die Tür zum Schafzimmer war geschlossen – Swangren hatte einen Freund namens Harold, mit dem er seit Jahren zusammenlebte –, neben der Küche hing eine große, in eisblauen Farben gehaltene Fotografie von einem nackten Jungen mit hängendem Geschlecht. Auf dem Bartisch darunter schenkte Swangren ihnen einen Eistee ein, er redete derweil, eine gutaussehende Gestalt mit weiß verblichenem Haar – das Schicksal der Blonden – und Tabakflecken im Mundwinkel. Das Gespräch bestand aus Anekdoten und Klatsch, als würde man sich seit Ewigkeiten kennen – und er hatte alle gekannt, Somerset Maugham, John Marquand, Greta Garbo. Er hatte viele Jahre in Europa gelebt, hauptsächlich in Frankreich, und kannte die Rothschilds.
Sie saßen beisammen, das Gespräch war offen und freundlich. Swangren mochte offensichtlich Gesellschaft. Er erzählte von Skandalen in der American Academy, Geschichten über fragliche Mitglieder und Streitigkeiten zwischen Dichtern. Auch über Homosexualität in der Antike, die intercruralen Freuden der Griechen und seine eigene Erfahrung mit Gonorrhö. Es hatte achtzehn Monate gedauert, bis er geheilt war, während derer ein französischer Arzt täglich einen Schlauch in ihn reinsteckte und die Wunden mit Argyrol bepinselte.
Sie redeten und tranken Tee. Bowman wartete auf den richtigen Moment, um das Thema auf den Roman zu lenken, aber Swangren erzählte von dem Abend, als Thornton Wilder ihn in sein Hotelzimmer zum Abendessen einlud.
»Von meiner berühmten Homosexualität war er doch etwas eingeschüchtert«, sagte Swangren. »Wir hatten jeder eine Flasche Bourbon und einen Kübel Eis vor uns und wollten uns eigentlich über Proust unterhalten, aber was geredet wurde, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur noch, dass wir zu viel getrunken haben und ich so aufgeregt und erschöpft war, dass ich irgendwann meinte, ich müsse nach Hause ins Bett. Wilder blieb noch bis zum Morgen auf, er ging von Bar zu Bar und redete mit den Leuten. Er war sehr schüchtern, aber in einer fremden Stadt machte er das immer so. Er wollte wissen, was die Menschen interessierte. Er hatte kaum Familie. Er hatte einen Bruder. Seine Schwester war im Irrenhaus.«
Swangren war auf einer Farm im Osten von Ohio aufgewachsen und hatte die breiten Hände eines Farmers. In den Allegheny Mountains, sagte er, hätten die Leute oft Kohle unter ihrem Land, und nach der Arbeit auf dem Feld gingen die Farmer häufig noch etwas Kohle abbauen. In den Gruben setzten sie dann Kohlenpfeiler, um die Decke abzustützen, und wenn die Ader erschöpft war, trugen sie beim Rückzug auch
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