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Alles, was ist: Roman (German Edition)

Alles, was ist: Roman (German Edition)

Titel: Alles, was ist: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Salter
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eine Weile. Er sah unglaublich gut aus. Er war Katholik. Ich hatte Phantasien, wissen Sie. Ich hätte alles gegeben, um ihn zu haben, aber in dem Moment war es unmöglich.«
    Sie trank Wein. Sie hatte ihre Haltung, oder was es auch war, verloren. Sie sagte: »Sie verstehen das wahrscheinlich nicht, vielleicht hab ich es auch falsch erzählt. Er war zwei Jahre jünger als ich, aber wir hatten diese Verbindung. Darf ich Ihnen etwas sagen? Es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an ihn denke. Sie hören solche Geschichten wahrscheinlich jeden Tag.«
    »Nein, nicht wirklich.«
    »Ich meine, es war nur eine Phantasie. Wir haben zwei Kinder, zwei wirklich wunderbare Kinder«, sagte sie. »Zuerst waren wir in Florida – das war 1957. Und jetzt sind wir hier. Wissen Sie, was ich meine? Es ist alles so schnell gegangen. Mein Mann ist ein guter Vater. Er war immer nett zu mir. Aber in dieser Nacht. Ich kann es nicht erklären.«
    Sie machte eine Pause.
    »Er küsste mich, als er ging«, sagte sie.
    Sie sah Bowman in die Augen, dann blickte sie zur Seite.
    Gegen Ende des Abends fand sie ihn in der Nähe der Tür, und ohne etwas zu sagen, umarmte sie ihn.
    »Mögen Sie mich?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte er, um sie zu trösten.
    »Wenn jemand die Geschichte aufschreiben möchte«, sagte sie. »Ich hätte nichts dagegen.«
    Enid hatte nie gefragt, ob er sie mochte. Er war verrückt nach ihr gewesen. In England waren sie Richtung Norden nach Norfolk raufgefahren, grünes, flaches Land mit großen Häusern, armselige Städtchen, im Grunde Pferdeland, um sich dort einen Hund anzusehen. In Newmarket standen vier oder fünf Stalljungen im Hemd an einer Ecke, einer von ihnen pinkelte gemächlich an eine Mauer. Er schwenkte seinen Schwanz zu ihnen herüber, als sie vorbeifuhren.
    »Wie nett«, sagte Bowman. »Englische Jungs, nehm ich an?«
    »Unverkennbar«, sagte Enid.
    Ein paar Meilen außerhalb der Stadt erreichten sie dann das Haus, das sie gesucht hatten, ein niedriges, stuckverziertes Haus am Ende einer Straße. Ein Mann mit grauem Pullover und roten, fast fleischfarbenen Wangen öffnete ihnen die Tür.
    »Mr Davies?«, fragte Enid.
    »Ja.«
    Er hatte auf sie gewartet.
    »Ich nehm an, Sie wollen sich ihn mal ansehen«, sagte er.
    Er führte sie ums Haus herum zu einem großen Drahtverschlag. Als sie näher kamen, begannen einige der Hunde zu bellen. Weitere stimmten ein.
    »Stören Sie sich nicht daran«, sagte Davies. »Tut ihnen gut, ein paar Leute zu sehen.«
    Sie gingen an der Umzäunung entlang fast bis zum Ende. »Da ist er.«
    Ein junger Greyhound lag in einer Ecke des Zwingers. Jetzt erhob er sich langsam und kam mit zögerlicher Würde an den Zaun. Er sah aus wie ein Hund für Könige, weiß mit grauem Rücken und etwas Grau um den Kopf wie ein Helm. Im Orient ließen sich Herrscher mit ihren Windhunden begraben. Enid steckte einen Finger durch den Draht, um sein Ohr zu streicheln.
    »Er ist wunderschön.«
    »Nicht ganz fünf Monate alt«, sagte Davies.
    »Hallo«, sagte sie zu dem Hund.
    Ihr war der Hund von einem Freund geschenkt worden. Sein Name war Moravin, sein Vater, Jacky Boy, hatte einen beachtlichen Stammbaum. Davies arbeitete als Trainer. Er hatte sein ganzes Leben mit Hunden verbracht. Sein Vater, erzählte er, sei Handwerker gewesen und hatte sich immer ein Rennpferd gewünscht, sich dann aber für Hunde entschieden. Sie fraßen weniger. Davies hatte ab und zu einen Gewinner, aber man konnte es nie vorher wissen, sie konnten einen immer enttäuschen. Manche waren vielversprechend, brachten es aber zu nichts. Sie waren fürs Rennen gezüchtet worden, aber nicht alle rannten gut. Manche kamen schnell aus der Box, andere waren gut über die Distanz, es gab Läufer, die gerne außen rannten, und andere, die dicht an der Schiene blieben.
    »Jeder ist anders«, sagte er.
    Er wollte die Erwartungen nicht zu hochstecken, setzte aber doch einige Hoffnung in den Hund, der schon in seinem jungen Alter gut auf die Lumpenpuppe ansprang, sie wie wild verfolgte, bis er sie mit seinen langen weißen Zahnreihen zu fassen bekam. Später erholte er sich schnell und hatte auch keine Probleme, im Training mit zwei oder drei anderen Hunden zu laufen.
    In seinem ersten Rennen schließlich ging alles schief. Gleich zu Anfang wurde er von einem anderen Hund geschnitten und konnte sich nicht mehr von der Meute lösen. Er war die ganze Zeit im hinteren Feld gefangen. Es war eine Enttäuschung, sagte der Trainer am

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