Alles Wurst
Sie hatten ein stattliches Büfett aufgefahren. Nicht nur Salat, sondern auch Fleisch und Fisch. Die ganze Palette. Und als ich so mit meinem Teller am Büfett vorbeischlenderte, traf ich ihn wieder.«
»Wen?«
»Den Lachs. Er lag zwischen Sahnemeerrettich und Rosmarinkartoffeln. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, wahrscheinlich hältst du mich für bescheuert oder so. Aber ich konnte schwören, es war der Fisch, dem ich die Freiheit geschenkt hatte.«
»Aber nein, ich halte dich nicht für bescheuert.«
»Aber ist es nicht verrückt: Ich sah in seine Augen, in die toten, glasigen Augen des Fisches und fand etwas wie Weisheit darin. Verstehst du das? So etwas erlebst du vielleicht nur ein einziges Mal in deinem Leben. Du siehst in diese Augen und weißt genau: Von heute an wird nie wieder Fisch auf deinem Teller liegen.«
Laura kaute nur langsam. Sie war damit beschäftigt, mir in die Augen zu sehen. Mein Blick begegnete dem ihren. Wärme lag darin, unbegrenztes Verständnis und etwas, das ich bis heute noch nie darin gefunden hatte.
»Ich kann dich so gut verstehen, Henk. Deine Gefühle und all das andere«, sagte sie mit belegter Stimme. »Was hältst du davon, wenn wir nach drüben gehen?«
Im Schlafzimmer angekommen, fiel sie geradezu über mich her. Die Engelsgleiche riss mir die Kleider vom Leib, während ich ihr in aller Eile den grob gestrickten Pulli über den Kopf zog und sie Knopf für Knopf von ihrer durchsichtigen Bluse befreite. Mit meinen Jeans bekamen wir Probleme: Sie ließen sich nicht über die Füße streifen, weil ich noch Schuhe und Strümpfe trug. Bei aller Atemlosigkeit blieb ich gelassen, denn mich durchströmte die Gewissheit, endlich das zu ernten, wofür ich seit Tagen gekämpft hatte. Kittel und Kim waren mir egal, auch der verschwundene Messias, der Fall Fricke und Wallenstein der Große. Es war ein schönes Gefühl, wie nach Hause kommen.
Ich hielt ihren BH in der Hand, als es an der Tür klingelte.
Laura sah mich an.
»Lass doch«, drängelte ich. »Der kommt später wieder.«
»Wer kann das sein?«
Ich zerrte an ihrem Slip, aber sie zog ihn wieder hoch. »Warte einen Augenblick«, sagte sie, hüpfte aus dem Bett, schnappte sich ihren Bademantel vom Haken und lief zur Wohnungstür.
Eine Weile saß ich auf der weichen Matratze und spitzte die Ohren, konnte aber nichts von dem, was gesprochen wurde, verstehen. Starrte auf ein Bild an der Wand, eine wilde Kritzelei, die eine Art Superman im Sturzflug zeigte. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Dann hörte ich, wie die Tür wieder geschlossen wurde. Es war still.
»Laura?«
Sie antwortete nicht. Meinetwegen, wenn sie vorhatte, die Spannung zu erhöhen, indem sie mich ein wenig warten ließ. Ich hatte nichts gegen Spannung. Also wartete ich.
Nach sechs Minuten wurde es mir aber doch zu lang. Die Spannung war so hoch gewesen, wie sie nur sein konnte, und jetzt ließ sie allmählich wieder nach.
Was war los mit ihr? War ihr ein ökologisch-vegetarisches Fachbuch zugestellt worden, das sie gleich aufgeschlagen und darüber vergessen hatte, dass in ihrem Bett ein Mann auf sie wartete? Ich stand auf, schlug mir ein Handtuch um die Hüften und warf einen Blick in den Flur. Wo steckte sie nur?
Ich ging in die Küche. Der Tisch war immer noch reichlich gedeckt, der Schein der Kerzen ließ die Weingläser funkeln und der Feldsalat mit gerösteten Pinienkernen stand noch völlig unberührt da. Wir waren einfach nicht dazu gekommen. Zwischen den vegetarischen Köstlichkeiten lagen ein aufgeschlitzter Briefumschlag und Fotos. Es handelte sich um die altbekannten Fotos, mit denen Bölling, das Rattengesicht, meinen inszenierten Katzenunfall dokumentierte.
Ich war geliefert.
»Du Scheißkerl!« Aus dem Nebenzimmer kam Laura wie eine Furie auf mich losgestürmt und bearbeitete mich mit ihren Fäusten. »Denkst du, ich wäre so naiv, nichts zu merken, ja? Deine rührselige Geschichte von dem Lachs, den du wiedergesehen hast, das war alles nur dummes Gerede!«
»Aber Laura, jetzt hör doch mal …«
»Jede Wette, es war gar nicht dieser Lachs, es war irgendein x-beliebiger, einer von Tausenden. Aber du hast mir die Geschichte aufgetischt, weil du hofftest, dass ich dann mit dir schlafen würde!«
»Nein, das stimmt nicht. Im Gegenteil …«
»Du mieser Schweinehund!«
»Ich kann dir Fotos zeigen, auf denen Bölling das Gleiche tut. Er hat den Kater auch überfahren, und zwar zuerst.«
»Nein, du
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