Alles Wurst
eigneten …
»Herr Voss, kommen Sie zu sich! Herr Voss!«
Ich blinzelte. Vor mir tauchte ein seltsames Gesicht auf, das von zwei lappenförmigen Ohren eingerahmt wurde. Eine Höllenfratze, die Hieronymus Bosch nicht besser hätte malen können. Sie gehörte einem Kerl namens Rainer Zucker, der, in einen weißen Kittel gehüllt, vor mir hockte.
»Das war ja buchstäblich in der letzten Sekunde«, brachte ich mit steif gefrorenen Lippen mühsam hervor.
»Allerdings«, nickte Zucker. »Ich habe noch einen Termin in der Stadt. Eigentlich sollte ich längst weg sein. Was haben Sie hier nur verloren?«
Bei Licht fiel mir auf, dass der Raum gar nicht so eng war, wie ich zuerst gedacht hatte. Was ich für Wände gehalten hatte, waren große Truhen und Kühlschränke, die bis zur Decke aufragten.
»Ermittlungen in einem Mordfall.« Ich setzte mich auf. »Jetzt wird mir so einiges klar.«
»Das wird aber auch Zeit, Herr Voss.«
»Ihr Gerede vom Müll als Nahrungsmittel. Sie wussten von dem Ganzen hier und hatten auch noch die Dreistigkeit, mir einen wissenschaftlichen Vortrag darüber zu halten.«
»Meine Ansichten über die zukünftige Welternährungslage sind eine Sache für sich. Betrachtungen, die ich zwangsläufig anstelle, wenn ich in meinem Beruf arbeite. Sagte ich Ihnen nicht, dass ich eine Art Fleischkünstler bin?«
»Gammelfleisch, das ist Ihr Beruf. Sie haben es überall in Europa billig eingekauft, dann frisieren Sie es zur Qualitätsware und verkaufen es zum zehnfachen Preis.«
Zucker musterte mich mit einem Stirnrunzeln, das Sorge um meinen geistigen Gesundheitszustand ausdrückte. »Wer hat Ihnen das denn gesagt?«
»Ich habe meine Quellen.«
»Das dachte ich mir. Sehen Sie, Herr Voss, mit einer Glocke durchs Dorf zu rennen und laut ›Fleischskandal!‹ zu brüllen ist momentan in Mode gekommen. Das ändert aber doch nichts daran, dass Sie Beweise brauchen.«
»Beweise? Die liegen doch massenweise hier herum.«
»Bei diesem Fleisch handelt es sich um Tiefkühlware, die ordnungsgemäß gelagert wird.«
»Und warum wollten Ihre Gorillas mich dann umbringen?«
»Welche Gorillas?« Zucker schmunzelte amüsiert. »Sie sind gegen eine Eisentür gelaufen. Und dann waren Sie für eine kurze Zeit bewusstlos.«
»Jemand hat mich in diesem Kühlraum eingesperrt. Ich bin jetzt noch ganz erfroren.«
»Die Tür klemmt nur ein wenig«, erklärte der Mann mit den großen Ohren. »Zugegeben: In den Schränken ist es kalt. Achtunddreißig Grad minus.« Zucker deutete auf ein Thermometer, das an der Wand angebracht war. »Aber bei neunzehn Grad plus zu erfrieren, das müssen Sie mir erst mal vormachen.«
»Neunzehn Grad, so ein Blödsinn.« Ich kämpfte mich hoch und sah mir das Ding genauer an. »Das Thermometer spinnt, es sind nie und nimmer neunzehn Grad über null.«
Zucker zog seinen Kittel aus und hängte ihn an einen Haken an der Wand. Darunter kam ein seriöser blauer Anzug zum Vorschein, der ihm überhaupt nicht stand. »Eigentlich«, meinte er, »hatte ich gedacht, dass wir beide am gleichen Strang ziehen.«
»Am gleichen Strang?«
»Götz Wallenstein. Nach Ihrem Auftritt im Fernsehen neulich bildete ich mir ein, dass Sie zu den Leuten zählen, die nach Ursachen fragen. Die es unerträglich finden, wie ein Mann eine lächerliche Pfeife im Mundwinkel trägt, als sei er Lukas der Lokomotivführer persönlich, dass er unvorstellbare Banalitäten absondert und dafür den Preis für nachhaltigen Lebensstil abräumt. Dass Sie einer von denen sind, die wissen wollen, was hinter dieser Pappfassade steckt. Aber ich habe mich wohl getäuscht.«
»Meinen Sie damit Wallensteins Affäre mit Selma? Die Freundin, mit der er zusammen war und deren Finger ein Hai verschlang?«
»Hai?« Zucker lachte spöttisch in sich hinein. »Sie haben doch keine Ahnung …«
»Dass es kein Hai gewesen sein kann, weil die beiden in der Eifel getaucht haben, weiß ich längst. Aber was ist wirklich passiert?«
»Wozu sollte ich Ihnen das erzählen?« Die Fledermaus im Anzug schüttelte den Kopf. »Sie dringen hier ein und durchstöbern die Kühlräume nach verdorbenem Fleisch.«
»Darf man wenigstens erfahren, warum Sie an dem Seil ziehen?«, erkundigte ich mich, aber anstelle einer Antwort wandte Zucker sich zum Gehen. »Jetzt fällt es mir wieder ein: Er verweigerte Ihnen einen Stelle in seinem Bioladen, weil er behauptete, er müsse dichtmachen, wenn er einen Angestellten namens Rainer Zucker
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