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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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»Ist das, was in meinem Büro passiert, so unerträglich für Sie?«
    »Darum geht es nicht, Michail Sergejewitsch«, entgegnete Garbusow, »Sie werden wieder drängeln: Gib Geld, gib Geld. Aber ich habe keins und weiß nicht, woher ich es nehmen soll. Ich habe ein krankes Herz, eine Attacke in Ihrem Vorzimmer habe ich schon hinter mir, Ihre Gehilfen haben mich wieder auf die Beine gebracht.«
    Woher Geld nehmen? Dieser Gedanke verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Schließlich kam ich auf die Idee des nicht rückzahlbaren Kredits. Von dem ungleichen Verhältnis zwischen Stadt und Land wussten alle. Aber das verheerende System, nach dem Maschinen, Baumaterialien und Brennstoff teuer waren, während Getreide und andere landwirtschaftliche Produkte billig blieben, musste zwingend durch Kompensationsmechanismen ausgeglichen werden. Und einer dieser Mechanismen waren die staatlichen Kredite, die die Kolchosen und Sowchosen jedes Jahr pünktlich erhielten. Sie vollständig zurückzuzahlen, beabsichtigte niemand. Dazu hatten sie schlicht nicht die Möglichkeit. Die Logik war: Wenn ihr die Einkaufspreise so niedrig haltet, dass wir nicht normal leben und arbeiten können, dann geruht, uns auch in Zukunft Kredit zu gewähren und die Schulden dann abzuschreiben. Da ist nichts zu machen, schließlich muss das Land irgendwie ernährt werden.
    Meine Analyse ergab, dass die Höhe der jährlichen Kredite zwischen 15 und 17  Milliarden Rubeln schwankte. Im Grunde war dieser nicht rückzahlbare Kredit nichts anderes als eine direkte Finanzierung der Kolchosen und Sowchosen. Warum konnten wir diese Beträge dann nicht zur Steigerung der Einkaufspreise einsetzen? Wenn diese Preise gerecht wären, würde der Bauer auch über eine Produktivitätssteigerung nachdenken, über die realen Kosten und wie und wo man sparen konnte. Anscheinend hatte ich die Lösung gefunden, sprach aber vorläufig mit niemandem darüber, sondern gab den Auftrag, die Frage im Detail zu prüfen.
    Schließlich und endlich hatten sich die Leidenschaften gelegt, die Diskussionen in den Kommissionen waren zu Ende, die wichtigsten Elemente des Lebensmittelprogramms waren formuliert, ausgearbeitet und abgestimmt. Da die Plenartagung des ZK vor der Tür stand, brauchte ich ein Treffen mit Breschnew. Ich fand, der Generalsekretär müsse das Programm vorstellen.
    Wir trafen uns. Ich sagte ihm meine Meinung. Breschnew schwankte. Ich fühlte, dass sich ein schwerer Kampf in seinem Inneren abspielte. Schon auf dem Parteitag hatte er sein Referat nur mit äußerster Mühe halten können. Aber bei der nächsten Politbürositzung gab er sein Einverständnis, und ich musste ihn also in das Problem einführen.
    Breschnew lagen immer zwei Dinge am Herzen: der Agrarsektor und die Rüstung. Und zwar in dieser Reihenfolge. Ich weiß noch, einmal kam das Gespräch auf die Ernte und die traditionelle Bereitstellung von Armeelastwagen zu diesem Zweck. Der Verteidigungsminister Ustinow war ein kluger, listiger, sehr entschiedener und hartnäckiger Mann. Aber in diesem Fall verhielt er sich sehr konstruktiv. Er sagte, er verstehe die Bedeutung der Ernte, und wörtlich: »Verteidigung und Brot sind die Hauptsache und nicht voneinander zu trennen.« Ich hielt es für nötig zu korrigieren und bemerkte, ich neige mehr zu der Formel »Brot und Verteidigung«. Breschnew unterstützte mich und sagte lächelnd: »Da hat Gorbatschow wohl recht.« Also: »Brot und Verteidigung«!
    Es gab offenbar einen Moment, da der Generalsekretär nachdenken und abwägen musste, wohin die Logik der Steigerung des militärischen Potenzials und des Wettrüstens mit den USA führte. In den letzten Fünfjahresplänen waren die Militärausgaben doppelt so schnell gewachsen wie unser Nationaleinkommen. Dieser Moloch verschlang alles, was wir durch harte Arbeit und gnadenlosen Verschleiß unseres maroden Produktionsapparats geschaffen hatten, statt ihn besonders im Maschinenbau und den extraktiven Branchen dringend zu modernisieren. Dieser Meinung war ich schon damals.
    Die Sache wurde dadurch erschwert, dass es keine Möglichkeit gab, das Problem zu analysieren. Alle Daten zum militärindustriellen Komplex waren streng geheim. Man brauchte nur ein Wörtchen darüber zu verlieren und zu sagen, ein Rüstungsbetrieb arbeite nicht zufriedenstellend, da stürzte sich Ustinow wie ein Reiher auf den »stümperhaften Kritiker«, und keiner im Politbüro wagte, ihm zu widersprechen. Die Krise kündigte sich an. Ein Ausweg

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