Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

es um die Kader stand. Und wenn ich etwa mit 50  Prozent und einer Stimme durchgekommen wäre, wenn die Wahl nicht Ausdruck der allgemeinen Stimmung gewesen wäre, wäre es über meine Kräfte gegangen, die anstehenden Probleme zu lösen. Um es ganz direkt zu sagen: Wenn es im Politbüro und im ZK eine Diskussion gegeben hätte, hätte ich meine Kandidatur zurückgezogen, denn mir war klar, dass wir einen weiten Weg vor uns hatten.
    Um 14  Uhr nahm ich den Platz des Vorsitzenden ein – in der letzten Zeit mein üblicher Platz –, eröffnete die Sitzung und sagte, wir müssten im Namen des Politbüros der Plenartagung einen Vorschlag für den Generalsekretär unterbreiten. Alle hätten ja die Möglichkeit gehabt, die Sache zu überdenken. Gromyko erhob sich sofort und argumentierte kurz für meine Kandidatur. Einige Gedanken stimmten mit dem überein, was er später auf der Plenartagung sagte. Dann ergriff Tichonow das Wort. Alle unterstützten die beiden. Es hieß, wir hätten ja jetzt schon faktisch so gearbeitet und müssten dies der Plenartagung sagen. Auf der 19 . Parteikonferenz sagte Ligatschow: »In Wahrheit waren dies unruhige Tage. Es hätte auch andere Entscheidungen geben können. Die Gefahr bestand. Ich möchte sagen, dank der festen Haltung der Politbüromitglieder Tschebrikow, Solomenzew, Gromyko und einer großen Gruppe Erster Sekretäre der Gebietskomitees kam es bei der März-Plenartagung zur einzig richtigen Entscheidung.«
    Ich weiß nicht, was er damit sagen wollte. Dass ich ihm und den von ihm genannten Personen meine Wahl verdanke und sie eine Gefahr abgewandt hätten, die dem Land drohte? Zur Klärung führe ich hier kommentarlos eine paar Auszüge aus dem Arbeitsprotokoll der Politbürositzung an:
    Gromyko
: Ich sage es offen: Wenn man sich Gedanken über die Kandidatur für den Posten des Generalsekretärs des ZK der KPDSU macht, kommt man natürlich auf Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen – und ich möchte nicht verhehlen, dass es vielen von uns bereits schwerfällt, dorthin zu blicken –, sollten wir deutlich eine bestimmte Perspektive wahrnehmen: Wir haben kein Recht, zuzulassen, dass unsere Einheit gefährdet wird. Wir haben kein Recht, die Welt einen auch noch so kleinen Riss in unseren Beziehungen merken zu lassen. Ich möchte erneut betonen, dass Gorbatschow über umfangreiches Wissen und bedeutende Erfahrungen verfügt, doch sollten diese Erfahrungen mit unseren Erfahrungen multipliziert werden. Und wir versprechen, dem neuen Generalsekretär des ZK der KPDSU größtmögliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren.
    Tichonow
: Was kann ich über Michail Sergejewitsch sagen? Er ist ein kontaktfreudiger Mensch, mit dem man Probleme erörtern, ja auf höchstem Niveau erörtern kann. Von den Sekretären des ZK ist er wohl derjenige, der sich am besten in der Ökonomie auskennt.
    Grischin
: Als wir uns gestern Abend, als wir vom Tod Konstantin Ustinowitschs erfuhren, darauf einigten, Michail Sergejewitsch als Vorsitzenden der Beisetzungskommission zu bestätigen, entschieden wir diese Frage gewissermaßen im Voraus. Meiner Meinung nach entspricht er voll und ganz den Anforderungen, die an den Generalsekretär des ZK zu stellen sind.
    Kunajew
: Ich möchte euch berichten, dass ich für die Sitzung des Politbüros einen Auftrag habe. Welchen Verlauf die Diskussion hier auch nehmen mag, die Kommunisten Kasachstans werden für die Wahl Michail Sergejewitsch Gorbatschows zum Generalsekretär des ZK der KPDSU stimmen.
    Romanow
: Michail Sergejewitsch ist ein belesener Mann, der sich zum Beispiel sehr schnell in viele äußerst komplizierte Fragen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts eingearbeitet hat. Nikolaj Alexandrowitsch Tichonow hat hier von der Arbeit Michail Sergejewitschs in der Kommission für die Vervollkommnung des Wirtschaftsmechanismus gesprochen. Ich bin davon überzeugt, dass er die Kontinuität der Führung in unserer Partei voll gewährleisten und mit den Pflichten, die ihm auferlegt sein werden, zurechtkommen wird.
    Worotnikow
: Die Logik des Lebens selbst hat uns an diese Entscheidung herangeführt. Zu Gorbatschows wichtigsten Qualitäten gehören Verantwortungsbewusstsein, die Fähigkeit, zuzuhören, und Sachkenntnis. Ebendeshalb hat er hohes Ansehen im Parteiaktiv erlangt. Alle Genossen (und ich hatte heute Gelegenheit, mich mit vielen Repräsentanten von Gebietsparteiorganisationen Russlands zu treffen) sprechen