Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Russland eingeführte Alkoholverbot »vorübergehend« außer Kraft gesetzt. Man brauchte Geld. Als Chruschtschow an die Macht kam, bemühte er sich erneut energisch, das Übel auszurotten: Er erhöhte die Alkoholpreise und begrenzte den Verkauf. Aber mit der Zeit verlief die Initiative im Sande.
Die Situation hatte bedrohliche Ausmaße angenommen. Zu Beginn der Anti-Alkohol-Kampagne waren in unserem Land 5 Millionen Alkoholiker erfasst. Der jährliche volkswirtschaftliche Schaden durch die Trunksucht bezifferte sich auf 80 bis 100 Milliarden Rubel. Der Pro-Kopf-Verbrauch, Säuglinge mit eingerechnet, lag bei 10 , 6 Liter reinem Alkohol! ( 1914 , als in Russland ein Alkoholverbot eingeführt wurde, lag der Wodkaverbrauch übrigens bei 1 , 8 Liter, nach dem Zweiten Weltkrieg betrug er 2 Liter.)
Gromyko erzählte mir einmal von einer Unterhaltung mit Breschnew über das Thema Alkohol. Sie waren beide gerade auf dem Rückweg von Sawidowo, Breschnew saß am Steuer. Gromyko klagte, nach seiner Information habe die Trunksucht so katastrophale Ausmaße erreicht, dass es sich auf das Leben der ganzen Gesellschaft auswirke. Er sagte das, als fordere er dazu auf, etwas dagegen zu unternehmen.
Breschnew schwieg lange, dann sagte er: »Weißt du, Andrej, ein Russe ohne Alkohol, das haut nicht hin …«
Es ist nicht einfach, die wahren Gründe für die epidemisch verbreitete Trunksucht in den damaligen Jahren auszumachen. Da kommen viele Gründe zusammen. Die Tradition, die schweren Lebensbedingungen von Millionen Menschen, der Mangel im Alltag, eine niedrige Kultur, Kriegsfolgen, die drückende gesellschaftliche Atmosphäre. Einen negativen Einfluss hatte auch das Beispiel der Obrigkeit, die sich keine Gelegenheit des Alkoholkonsums entgehen ließ. Infolgedessen hatte sich in der Gesellschaft eine Toleranz gegenüber der Trunksucht herausgebildet. Aber Breschnew, der lange gegen ein Alkoholprogramm war, willigte schließlich doch ein.
Es wird oft gefragt: Von wem ging die Initiative aus? Böse Zungen behaupten, sie sei von den Politbüromitgliedern ausgegangen, die schon lange genug einen über den Durst getrunken hätten. Aber das sind Spekulationen. Die Initiative kam diesmal von unten. In den Partei- und Staatsorganen traf eine überwältigende Zahl von Briefen ein, die hauptsächlich von Ehefrauen und Müttern stammten. Schriftsteller und Ärzte forcierten die Frage und forderten ein Alkoholverbot.
Bei der Diskussion schlugen im Politbüro die Wellen hoch. Ein Alkoholverbot wurde abgelehnt. Die Maßnahmen umfassten eine kontinuierliche Verminderung der Produktion scharfer alkoholischer Getränke zugunsten eines Anstiegs der Produktion von trockenen Weinen, Bier, alkoholfreien Getränken. Die wegfallenden Einkünfte durch den Verkauf von Alkohol sollten durch andere Produkte erwirtschaftet werden und vieles mehr.
Anfangs billigte die Gesellschaft diesen Beschluss; nur diejenigen, für die das eine unannehmbare Maßnahme war, sträubten sich. Aber je mehr sich die Kampagne verbreiterte, desto mehr Zweifel kamen auf und entluden sich in Nervosität, Unzufriedenheit, ja Wut. Warum? Was war geschehen?
Bei der Beschlussfassung waren Realismus und Verantwortung im Spiel gewesen, aber bei der Umsetzung wurde alles übers Knie gebrochen und das gute Vorhaben in sein Gegenteil verwandelt. Die Anti-Alkohol-Kampagne zeigte noch einmal, dass der Glaube an die Allgewalt der Kommandomethoden und administrativen Druck jedes Unterfangen zum Scheitern bringen kann.
Unter dem Druck von oben wurden im Eiltempo Läden, Wein- und Wodka-Fabriken geschlossen und hier und da auch Weinstöcke abgeholzt. Die Produktion trockener Weine wurde reduziert; die in der Tschechoslowakei erworbenen teuren Ausrüstungen für die Bierbrauereien verrotteten. Aber das Verheerendste war: Die Schwarzbrennerei nahm massenhaften Charakter an. Der Zucker verschwand aus dem Handel, in der Folge sank das Sortiment der Konditoreierzeugnisse drastisch. Die Leute waren wütend über das stundenlange Schlangestehen und die erniedrigende Warterei, um eine Flasche für einen festlichen Anlass zu ergattern. Die Obrigkeit, allen voran der Generalsekretär, der traditionell für alles verantwortlich war, wurde übel beschimpft. So kam ich zu dem Spitznamen »Mineralsekretär«.
Hier einer der Witze jener Zeit:
Die Leute stehen Schlange nach Wodka, eine Schlange, länger als ein Kilometer. Die Wartenden verfluchen die Behörden, vor allem den
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