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Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)

Titel: Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Gorbatschow
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Generalsekretär. Ein erzürnter »Ankläger« erklärt: »Ich gehe jetzt in den Kreml und bringe ihn um.«
    »Na, los«, antworten die in der Schlange lachend.
    Und er geht in den Kreml. Nach einer Stunde kommt er zurück. Die Schlange ist etwas vorgerückt, aber bis zur Theke ist es noch weit.
    »Na, hast du ihn umgebracht?«, fragen sie ihn.
    »Nein. Die Schlange da ist noch länger.«
    Was soll man dazu sagen? Ein Witz, der für manchen nicht besonders lustig ist, aber die Russen lieben ihn.
    Natürlich versuchte das ganze Politbüro, darunter auch ich, die Situation unter Kontrolle zu halten, aber sie entglitt uns. Dabei hätte man mit diesem Problem durchaus fertigwerden können.
    Interessant und wichtig, besonders für die, die sich bis jetzt nicht über die »Anti-Alkohol-Kampagne Gorbatschows« abregen können, ist jedoch die Tatsache, dass die in Angriff genommenen Maßnahmen zu einem Rückgang von Verletzungen, Todesfällen und Arbeitszeitverlust führten, auch Fälle von Rowdytum und Ehescheidungen wegen Trunksucht gingen zurück. Die Lebenserwartung und die Geburtenrate stiegen.
    Das Alkoholproblem in Russland ist eine Frage, mit der man sich jeden Tag beschäftigen und die man immer stärker als ein kulturelles Problem sehen muss. Die Situation ist jetzt noch gefährlicher geworden. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Alkohol liegt bei mehr als 17  Litern. Jetzt muss man wieder überlegen, wie man dieses Übel eindämmt. Damals, ganz am Anfang der Perestrojka, hat man sich bei der Umsetzung des Anti-Alkohol-Programms verrechnet.
    Schon wieder ein Zufall
    An der Wende zum Jahr 1986 war ich bis oben hin mit der Vorbereitung des 27 . Parteitags beschäftigt. Ich musste den politischen Kurs in Richtung auf die Perestrojka systematisch darlegen, untermauern und die Richtung der praktischen Arbeit konkretisieren. Üblicherweise legte der Generalsekretär auf einem Parteitag einen Rechenschaftsbericht vor. Diesmal hieß dieser bewusst »politischer« Bericht. Das erlaubte uns, auf die Analyse des Tätigkeitsberichts zu verzichten und uns auf Fragen strategischer Natur zu konzentrieren.
    Das Material für den Vortrag war von der Arbeitsgruppe bis Ende Dezember so weit aufbereitet, dass ich damit nach Pizunda fahren und die Arbeit fortsetzen konnte. Außerdem hatte ich mir zu Problembereichen von akademischen Instituten Angaben zusammenstellen lassen. Auf der Grundlage all dieser Papiere wollte ich mit meinen Kollegen zu einer neuen Einschätzung kommen und Schlüsse für die Entwicklungswege unserer Gesellschaft, aber auch für die globale Situation ziehen. Aufgabe der Innenpolitik sollte eine Beschleunigung der sozialwirtschaftlichen Entwicklung des Landes sein. Es ging um eine Optimierung des Systems, denn damals glaubten wir noch an eine solche Möglichkeit. Wir dachten: Wenn man der Gesellschaft ein bisschen Freiheit gibt, wird sie aufleben. Andererseits sahen wir auch schon, dass die Politik der Perestrojka auf Hindernisse stieß. Manche betrachteten sie als eine der altbekannten Kampagnen, die sich schon bald in Luft auflösen würde …
    Es kam darauf an, gegen solche Zweifel aufzutreten und die Menschen von der Notwendigkeit des eingeschlagenen Kurses zu überzeugen. Einen besonderen Akzent legte ich in meinem Bericht auf das Thema Glasnost [32] . Für die Umgestaltung der Gesellschaft musste die Rolle der Partei überdacht werden. Mitte Januar stellte ich das Projekt des Berichts im Politbüro vor. Bei der Diskussion fiel mir auf, wie groß die Macht ideologischer Klischees war. »Bloß nicht von der Lehre abfallen«, »bloß keinen falschen Schritt tun«, das war das Einzige, an was meine Freunde dachten. Es war die Angst, die sie hielt.
    Als ich am 23 . Januar auf der Sitzung des Politbüros auftrat, sagte ich: »Wir befinden uns in einem Moment des Umbruchs. Entsprechend sieht unsere politische Linie aus. Das Wichtigste ist, sich nicht in den Haupttendenzen, in der Richtung zu irren. Wir sind keine Götter und haben nicht auf alle Fragen Antworten. Aber wir an der Spitze haben mehr Informationen als die Gesellschaft. Wir verstehen, dass ein tiefgreifender Umschwung nötig ist – und müssen den Parteitag mit dieser Einstellung beginnen … Wir brauchen die Einheit Gleichgesinnter, die die Initiative ergriffen haben und bereit sind, konsequent weiterzugehen.«
    Was für Zufälle es im Leben gibt! Am 25 . Februar 1986 wurde der 27 . Parteitag eröffnet – ein historisches Datum, denn es fiel mit dem

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