Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
Wahlorgane waren mit seinen Leuten besetzt. Keine einzige Besetzung konnte ohne sein Einverständnis stattfinden. Alle leitenden Ämter gehörten zur Nomenklatur des Gebietskomitees oder Regionskomitees der Partei. Selbst wenn ein Betrieb oder Institut dem Ministerium unterstand, konnte der Minister nicht den Ersten Sekretär übergehen und jemanden ohne dessen Wissen einsetzen.
Der Erste Sekretär ist etwas Besonderes, eine Schlüsselfigur der Macht. Amt und Machtfülle hat er nicht vom Volk, nicht aufgrund von Wahlen bekommen, sondern von Moskau: vom Politbüro, vom Sekretariat, vom Generalsekretär der KPDSU persönlich. Deshalb die Verwundbarkeit und Zwiespältigkeit der Situation des Ersten Sekretärs. Er wusste nur zu gut, dass er Amt und Macht sofort los war, wenn sich die Ansicht in den genannten Instanzen über ihn änderte, besonders, wenn er das Vertrauen des Generalsekretärs verlor.
Die endgültige Entscheidung über die Kandidatur der Ersten Sekretäre oblag dem Generalsekretär des ZK der KPDSU . Was mich betrifft, so hatte ich Unterredungen mit Kapitonow, Kulakow, Kirilenko und Suslow. Und dann ein letztes, ausschlaggebendes Gespräch mit dem Generalsekretär. Nur er konnte die entscheidenden Worte sagen: »Wir empfehlen Sie.«
Ich erinnere mich gut an den vertrauensvollen Ton bei dieser ersten Begegnung und Unterhaltung mit Breschnew. Das Treffen dauerte ca. drei Stunden und gefiel mir. Dabei muss man berücksichtigen, dass sich der Breschnew der sechziger, siebziger Jahre stark vom kranken Breschnew der letzten Jahre unterschied. Gleich zu Anfang des Gesprächs sagte er mir, das ZK empfehle mich für den Posten des Ersten Sekretärs des Regionskomitees der Partei: »Bisher haben bei euch Fremde gearbeitet, jetzt soll es einer von euren eigenen Leuten sein.«
Breschnew erzählte, wie entsetzt er über den Wassermangel war, als er während des Zweiten Weltkriegs beim Rückzug Richtung Noworossijsk durch unsere Gegend kam. »Ich habe damals zum ersten Mal gesehen, wie die Menschen bei Regen das Wasser vom Dach in besonderen Behältern auffingen, das war im Juli, August 1942 . Es herrschte eine entsetzliche Hitze, und die Leute hatten nichts zu trinken.«
In diesem Augenblick schaltete ich mich unangebrachterweise ein und sagte: »Im letzten Jahr hatten wir eine sehr schlechte Ernte. Auf einer Fläche von einer Million Hektar ist das Getreide verdorben. Bisher haben wir mit großer Mühe Einbrüche in der Viehzucht vermeiden können. Aber jetzt brauchen wir Hilfe. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich Ihnen mit diesem Problem komme.«
Breschnews Reaktion war interessant. Er rief Kulakow an und sagte gleichsam im Scherz: »Hör mal, Fjodor, wen haben wir uns denn da für das Amt des Ersten Sekretärs im Stawropoler Land ausgesucht? Er ist noch nicht gewählt und meldet schon Ansprüche an. Er will Mischfutter!«
Kulakow antwortete ihm im selben Ton: »Leonid Iljitsch, noch ist es nicht zu spät, seine Kandidatur fallenzulassen. Aber Gorbatschow hat leider recht, die Region braucht Unterstützung.«
Nach der Anweisung, uns über den Winter zu helfen, trieb man mit Mühe 70 Tonnen Futtergetreide auf.
So war ich also Ende Juli 1955 nach Stawropol gekommen und schon 1970 , nur fünfzehn Jahre später, auf einem hohen Posten nicht nur der Region, sondern auch des Staates angelangt. Es folgten die Wahlen in den Obersten Sowjet und auf dem Parteitag des folgenden Jahres ins ZK .
Mir taten sich gewaltige Möglichkeiten auf. Eine große Verantwortung lag auf meinen Schultern. Bei einer der ersten Sitzungen des Büros des Regionskomitees machte ich die Kollegen mit dem Inhalt meines Gesprächs mit dem Generalsekretär bekannt. Ich selbst brachte zwei Vorschläge prinzipiellen Charakters ein. Erstens: »Jeder hat seinen konkreten Bereich, für den er verantwortlich ist; sämtliche operativen Entscheidungen – mit Ausnahme der prinzipiellen, die die Meinung des Ersten Sekretärs und des ganzen Büros des Regionskomitees erfordern – treffen Sie selbst. Ich will Sie nicht antreiben müssen. Menschen, die an der Spitze der Region stehen und einen Vertrauensvorschuss haben, müssen sicher und frei agieren können. Wenn es Probleme gibt, besprechen wir sie. Ansonsten treffen wir uns einmal in der Woche zum Informationsaustausch.«
Vielleicht ist mir mit dieser Herangehensweise nicht alles gelungen. Aber sie trug sofort Früchte. Auch später, als Mitglied des ZK und Präsident der UDSSR , ging ich immer
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