Alles zu seiner Zeit: Mein Leben (German Edition)
die Menschen sich riesig freuen. Trinken Sie ein Glas mit mir!«
Sie hielt der Versuchung nicht stand. Aber am nächsten Tag sagte sie: »Bei so einem Treffen war ich noch nie.«
Im selben Jahr, 1967 , beendete ich mein Studium an der Agroökonomischen Fakultät des Landwirtschaftsinstituts. Ich hatte dort 1961 auf Geheiß und den freundschaftlichen Rat Kulakows hin ein Studium aufgenommen. Damals startete das landwirtschaftliche Regionskomitee der Partei eine große Kampagne zur Weiterbildung der Kader, die schon in der Landwirtschaft arbeiteten. In diesem Zusammenhang wurde das Fernstudium sehr gefördert. Auch ich hatte ein Fernstudium an der soeben gegründeten Fakultät aufgenommen. Da der Lehrplan an dieser Fakultät noch nicht ausgearbeitet war, machte man es sich im ersten Jahr einfach: Man legte das agronomische und das ökonomische Programm zusammen. Wir mussten ganz schön büffeln! Ich studierte mit großem Interesse. Kulakows Rat erwies sich als nützlich. Damals interessierte ich mich sehr für Wirtschaft – und ließ mein früheres Interesse für Philosophie und Staats- und Rechtstheorie ein wenig ruhen.
Das war ein weiterer wichtiger Schritt auf meinem Lebensweg.
Wir hatten in diesen Jahren so viel zu tun, dass wir uns, wie gesagt, lange keinen Fernseher anschafften, und zwar ganz bewusst. Mein Tagesablauf in jenen Jahren sah so aus: Um fünf stand ich auf und lernte für mein Landwirtschaftstudium; um sieben weckte ich die Familie – Raissa und Irina schliefen gern länger. Nach dem Frühstück brach ich um acht zur Arbeit auf. Mittags aß ich nicht zu Hause, oft fiel das Mittagessen einfach aus. Wenn ich dann abends zwischen neun und zehn nach Hause kam, schlug ich mir den Magen voll. Ich nahm immer mehr zu. 1971 , als ich schon Sekretär des Partei-Regionskomitees war, fuhr ich mit Raissa und anderen ZK -Mitgliedern nach Italien in Urlaub. Meine Leidenschaft für Spaghetti hatte eine erneute Gewichtszunahme zur Folge. Als ich zurückkehrte, schaute ich in den Spiegel, war empört und beschloss abzunehmen. Im ersten Jahr verlor ich zehn Kilo, im folgenden sieben, im dritten drei. 20 Kilo in drei Jahren! Damit hatte ich mein Normalgewicht erreicht. Doch das war später.
In den siebziger Jahren
Fast jeden Samstag musste ich arbeiten. In der Freizeit fuhren wir ins Grüne zu den Bergen Strischament oder Nedremannaja im Zentrum der Stawropoler Anhöhe. Wenn es die Umstände erlaubten, blieben wir dort mehrere Tage. In der Regel fuhren wir zu dritt, Raissa, Irina und ich, seltener mit Freunden. Manchmal wanderten wir 20 bis 25 Kilometer am Tag und fielen dann vor Müdigkeit ins Bett.
Raissa, 1973
Mit Irina bei ihrer Schulabschlussfeier, 1974
Teil II
Der Weg nach oben
5 . Kapitel
Meine kleine Perestrojka
Auf dem Plenum des Partei-Regionskomitees Stawropol vom 10 . April 1970 wurde ich einstimmig zum Ersten Sekretär des Regionskomitees gewählt. Ich war neununddreißig. Die Mitglieder des Regionskomitees kannten mich natürlich gut und begrüßten es auch, dass zum ersten Mal in all den Jahren kein »Zugereister«, sondern einer aus ihrer Mitte, ein Stawropoler, diesen Posten übernahm. Meine Wahl hatte eine merkwürdige Situation geschaffen: Die anderen Sekretäre des Regionskomitees waren alle älter als ich. Einige von ihnen hatten damit gerechnet, gewählt zu werden. Doch das ZK hatte nur eine Kandidatur zugelassen.
Hier möchte ich einige Erklärungen zu den Ersten Sekretären der Republiken, Gebiets- und Regionskomitees der Partei einschieben. Diese Sekretäre wurden faktisch von der Spitze ernannt: vom Generalsekretariat des ZK der KPDSU und vom Politbüro. Sie waren eine der Hauptstützen des Regimes. Trotz der Zersplitterung in Branchen und Verwaltungseinheiten waren alle staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen über sie zu einem System verbunden. Sie hatten die Mehrheit im ZK der KPDSU , mit ihren Stimmen wurde der Generalsekretär gewählt, und schon dadurch waren sie in einer besonderen Position. Das System rekrutierte die aktivsten und energischsten Leiter überall, in Industrie- und Landwirtschaftsbetrieben, in wissenschaftlichen und pädagogischen Instituten, in den unterschiedlichsten sozialen Gruppen und Gesellschaftsschichten. Aber wenn man zur Nomenklatur aufgestiegen war, musste man sich an ganz bestimmte Spielregeln halten.
Die gesamte lokale Macht konzentrierte sich in der Hand des Ersten Sekretärs. Der ganze Führungsapparat der Region, selbst die
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