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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Ermittlungen wieder aufgenommen werden? Warum denn?«
    Eine gute Frage. Eine sehr gute Frage. »Vielleicht war er sich sicher, dass ihm nie jemand draufkommen würde, zumindest nicht zu Lebzeiten«, schlug ich vor. »Und er wusste, dass er bald sterben würde, noch bevor die Wiederaufnahme der Ermittlungen per Gerichtsbeschluss durchgesetzt worden wäre. Zittel hat mir erzählt, dass dein Vater mit ihm nach Erscheinen meines Artikels über die Landmaschinentoten gesprochen hat. Er hat sich erkundigt, ob Fremdverschulden heute noch nachweisbar wäre. Zittel hat ihn da beruhigt. Also konnte dein Vater gefahrlos die Familien in ihrem Bestreben unterstützen, den Tod ihrer Söhne klären zu lassen. Die Flucht nach vorne nennt man das auch. So würde er nicht in Verdacht geraten.«
    Richard schüttelte den Kopf. »Alles reine Spekulation.«
    »Und vielleicht«, setzte ich nach, »drängte es deinen Vater am Ende seines Lebens sogar nach Entdeckung. Mit so einem Geheimnis stirbt es sich nicht leicht. Ihr habt keine Beichte. Aber irgendwo müsst auch ihr hin mit eurer Schuld. Irgendwer muss euch Absolution erteilen. Mit Gesten und Worten. Und das kann Gott nicht, denn er spricht nicht.«
    Ein schräges Glitzern sprang quer durch Richards asymmetrische Augen. Er richtete sich plötzlich auf, ließ das Geländer los, drehte sich um, war mit drei Schritten an der Tür zum Museumssaal und stieß sie auf. Mit langen Schritten durchmaß er den Gang zwischen den Vitrinen, angefüllt mit zweitausend Jahren Geschichte des Wiegens, packte Zittel am Arm und zerrte ihn zur Hahn’schen Neigungswaage. »Machen Sie die Vitrine auf.«
    Zittel stutzte. »Bitte?«
    »Schnell! Ich muss etwas nachschauen.«
    »Das kann ich nicht. Ich … Was wollen Sie denn?«
    Ehe Zittel sich zwischen Nein und Neugier entschieden hatte, hatte Richard die nächstbeste römische Schnellwaage aus der Halterung gerissen, eine massive Eisenstange mit Haken, Gegengewicht und Waagschale an einer Kette. Ohne weitere Umstände und mit Wucht hieb er sie in die Vitrine. Das Glas zersprang, der Holzsockel zersplitterte, die Seitenwand kippte, die filigrane Hahn’sche Neigungswaage schepperte zu Boden. Hoffentlich war es wirklich nur die Kopie!
    »Was tun Sie?«
    Richard fegte Scherben und Trümmer von der Waage, hob sie hoch, wackelte am Skalenblech, schlug den eisernen Arm gegen einen der Holzpfeiler, welche die Decke trugen, und probierte, ob sich das Gewicht auseinanderschrauben ließ. »Nichts!«
    »Sind Sie wahnsinnig?«
    Richard ließ das kostbare Stück fallen wie eine zerlegte Kinderpuppe und schaute sich um. »Irgendwo muss er sie versteckt haben, seine Beichte. Sie muss hier sein, falls sie existiert. Hier irgendwo.« Er rannte in den Nebenraum. »Du hast Recht, Lisa, wenn er das alles getan hat, dann muss er eine Lebensbeichte niedergelegt haben, nicht nur vor sich und vor Gott, sondern auch vor uns. Er muss!«
    »Und du meinst, dieses Schriftstück hat er in einer der Waagen versteckt, die er dem Museum überlassen hat, damit es irgendwann mal irgendwer findet?« Eine überflüssige Frage.
    »Da ist sie ja«, sagte Richard.
    Auf dem Tisch vor dem Fenster stand eine prächtige alte Kaufladenwaage mit den beiden ineinander verrankten Ws und dem altmodischen Schriftzug von vor 1921, weil nur mit einem a geschrieben: »Weber Wage«.
    »Die hat immer auf dem Sideboard im Zimmer meines Vaters gestanden.«
    Die berühmte Neigungsschaltgewichtswaage, die Richards Großvater erfunden hatte. Der Wiegemechanismus war gänzlich im Eisengehäuse unter der Wiegeplatte verborgen, aber er funktionierte vermutlich wie bei der Neigungswaage, also mit festen Gewichten. Auf der verglasten Skala konnte man die Grammwerte ablesen, und vorn war ein Drehschalter, mit dem man auf ein oder zwei oder mehr Kilos umstellen konnte.
    Richard packte das massive Gerät, hob es hoch, als wöge es nichts, und ließ es auf den Boden fallen. Das eiserne Gehäuse schlug eine Macke in die Diele, das Glas der Skala splitterte, die Wiegeplatte sprang ab, die Gewichte rasselten.
    »Hören Sie auf! Was machen Sie da?«, schrie Zittel. »Ich hole die Polizei!«
    »Sie gehört immer noch mir!«, antwortete Richard kühl. »Mein Vater hat seine Waagen dem Museum nicht geschenkt, nur überlassen.« Er ging aufs Knie, packte das Gehäuse, drehte es um und schüttelte die Mechanik durch. Staub und Schräubchen fielen heraus, aber kein Papier.
    Und schon schwang sich Richards Sinn weiter. Eine feine

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