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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Apothekerwaage fiel dem heiligen Zorn zum Opfer. Der Holzkasten, auf dem sie aufgeschraubt war, zerplatzte. Wieder nichts. Richard fegte eine Justitia zu Boden, wo sie geköpft liegen blieb. Ihr Leib war hohl und leer.
    Entrüstung zitterte sich in Zittels Kiefern nach vorn. »Sie sind ja wahnsinnig!«
    »Ich bezahle den Schaden.«
    Eine Laufgewichtswaage, wie ich sie von meinem Kinderarzt kannte, kippte und zerknallte. Richard donnerte ein gusseisernes Fünfkilogewicht auf den Sockel, dass die Platte absprang, auf die einst Kinder zitternd ihre nackten Füße nebeneinandergestellt hatten.
    »Das sind unbezahlbare Werte!«, heulte Zittel.
    »Ah!«, rief Richard. »Die kenne ich doch auch. Sie stand immer bei uns in der Küche.«
    Es war eine Marktwaage mit zwei Messingschalen über einem Korpus aus Eisen in Gestalt einer Jugendstilfassade mit Frauenköpfen, Adlerflügeln, Kränzen, Beschlagwerk, Kassetten und Ovarienfries. Sie klapperte in Richards schüttelnden Händen und zerfiel auf den Dielen in ihre Einzelteile. Die Messingschalen schepperten über den Boden davon. Danach zerschlug er noch ein paar kleinere mechanische Kostbarkeiten aus bürgerlichen Haushalten der Jahrhundertwende. Aber das schriftliche Sündenzeugnis seines Vaters fand sich nicht.
    »Damit wäre das auch geklärt«, sagte der Sohn. »Schicken Sie mir die Rechnung.« Er überstieg die Trümmer seiner letzten Tat, durchquerte auf knarrenden Dielen den Saal und ging hinaus.
    »Wenn Sie mich entschuldigen würden, Herr Dr. Zittel«, sagte ich. »Es war alles hochinteressant. Ich melde mich, wenn ich noch Fragen zu Ihrem Buch habe.«
    Das »Aber!« des Doktors, dessen Welt aus dem Gleichgewicht geraten war, flatterte mir hinterher.
    Richard schwebte leichtfüßig die Treppe hinunter. Sich die Hände reibend trat er an die Sonne. In der Tat, er war wahnsinnig geworden.
     

38
     
    »Auf Dauer kannst du nicht davonlaufen, Richard!«
    Er blieb an der Zehntscheuer stehen und wandte sich mir mit hochgezogenen Brauen zu. »Muss ich auch nicht. Es gibt keinen Beweis. Wer weiß, was ich als Bund am Hörnle wirklich gesehen und was ich mir hernach in meinem Hass auf den bösen Mann, der mein Vater war, zurechtfantasiert habe. Die Erinnerung ist instabil. In dem Augenblick, wo man sie hervorholt, verändert man sie unwiderruflich in die Richtung, die einem der Staatsanwalt oder Richter suggeriert, der einen befragt. Ein altes Zeugenproblem.«
    »He, wach auf! Es gibt fünf, mit Jannik sechs ungeklärte Todesfälle hier in Balingen, die gemeinsam haben, dass sie an Max und Moritz erinnern.«
    »Hör mir auf mit Max und Moritz. Das fand ich als Kind schon nicht lustig.«
    »Welches Kind findet das schon lustig! Denn wir haben alle verstanden, dass Max und Moritz sterben mussten, weil sie Kinder waren, lebenslustig, neugierig und risikofreudig. Die Strafe dafür bestand in ihrer totalen Vernichtung. Max und Moritz wurden physisch zerlegt, uns zerlegte man psychisch. Du hast mir deinen Vater als genau so einen Müller beschrieben, Richard.«
    »Deine Fähigkeit in Ehren, Lisa, Verbindungen zu sehen, die sonst niemand sieht, aber solange das Max-und-Moritz-Prinzip das einzig verbindende Element ist …«
    »Das verbindende Element ist dein Vater!«
    »Nein. Die Todesfälle fallen nur zufällig in seine lange Lebenszeit. Und nur weil er jetzt gestorben ist und du zufällig seine Leiche gesehen hast, knüpfst du eine Verbindung zu irgendwelchen Todesfällen, über die du zufällig einmal geschrieben hast.«
    »Aber du weißt es doch, Richard. Tief in dir drinnen weißt du es. Warum sonst die Pistole unterm Kopfkissen, die Flucht nach Stuttgart, die Flucht in den Alkohol.«
    »Das hatte andere Gründe, und das weißt du auch, Lisa.«
    »Dann lass die Polizei ermitteln. Bei Jannik wird man nicht nur Alkohol im Blut feststellen, sondern auch, wenn man gezielt danach sucht, Gift. Und zwar dasselbe, mit dem Vicky vergiftet wurde und an dem dein Vater gestorben ist. Und vielleicht findet man ein Haar oder Hautschuppen von deinem Vater an der Leiche. Man muss nur suchen und die DNS vergleichen. Auch in der Asche des Gartenhäuschens wird man, wenn man weiß, wonach man suchen muss, noch Hinweise darauf finden, dass Jannik dort von deinem Vater gefangen gehalten wurde.«
    Richard schüttelte den Kopf. »Wie sollte mein Vater Jannik denn umgebracht haben?«
    »Er hat ihn sich geschnappt, irgendwann letzte Woche. Mit vorgehaltener Pistole vermutlich. Die Pistole hatte er in

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