Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
auf dem Heimweg. Der Mond war schon weg. Wir kamen gerade aus dem Wald heraus. Da waren die Felder. Auf einem stand ein Mähdrescher. Weiter unten die ersten Häuser von Weilstetten. Kaum Licht. Aber ein Auto kam den Feldweg herauf. Die Scheinwerfer kamen direkt auf uns zu. Wir duckten uns ins Unterholz. Der Wagen hielt nur ein paar Meter von uns entfernt. Die Scheinwerfer gingen aus. Es war ein dunkler Mercedes. Alle Bauern hatten solche in den Sechzigern und die Metzger. Mein Vater auch. Mit diesen runden Scheinwerfern, dem hochgezogenen Kühlergrill und dem Blinker oben auf dem Kotflügel. Ich hatte die Parabellum in der Hand, entschlossen, mein Leben und das von Bullwinkle zu verteidigen. Es war ein Mann, der ausstieg. Wir dachten, er wolle nur mal austreten. Aber er machte den Koffer raum auf und lud sich etwas auf die Schulter. Es war ein Paket, ein längliches Paket, ein bisschen steif. Packpapier raschelte. Er trug es über das Feld davon. Kaum war er ein Stück fort, rannten Bullwinkle und ich los, geduckt am Auto vorbei und dann nichts wie weg. Wir rannten, bis wir die ersten Häuser von Weilstetten erreicht hatten.«
    »Ihr habt ihn also gesehen! Den Mörder von Paul.«
    »Bullwinkle meinte, wir dürften es niemandem erzählen, sonst würde er uns auch ermorden. Und ich … ich habe … ich habe ihr nie gesagt, dass …«Er ächzte. »… dass ich sogar das Autokennzeichen gesehen hatte. Ich habe es niemandem gesagt. Ich habe es sogar völlig vergessen. Bis eben. Und jetzt weiß ich auch wieder, warum ich an jenem Tag, einem Montag, wirklich ins Zimmer meines Vaters getreten bin. Ich wollte ihn zur Rede stellen. Ich hatte tatsächlich das Gefühl, ich könnte meinen Vater fragen: Warst du das Samstagnacht am Hörnle? Ich habe unser Auto erkannt. Warst du das? Ich kam nicht dazu. Ich fand keinen Anfang. Denn er redete übers Wägen und die Zahl 33. Vielleicht merkte er, dass er in diesem Moment jegliche moralische Macht über mich verlor. Von diesem Tag an habe ich, wie ich jetzt weiß, mit der Pistole unter meinem Kopfkissen geschlafen, einen Herbst, einen Winter und den ganzen Sommer hindurch. Falls er auch mich holen käme!«
    Er holte tief Luft und blickte mich verwundert an.
    »Aber kann das wirklich sein, Lisa? Ist so etwas möglich? Oder werfe ich nur drei Ereignisse zusammen, die nichts miteinander zu tun haben? Sehe ich Gespenster? Bin ich verrückt? Mein Vater ist doch kein Mörder. Nicht wirklich! Warum sollte er den armen Paul denn umgebracht haben?«
    »Weil Paul schwul war«, sagte ich sanft. »Oder weil dein Vater glaubte, er sei es. Weil er etwas Mädchenhaftes an sich hatte, blaue Augen, Engelshaar, diesen gewissen Blick, einen naiven, bewundernden Blick vielleicht nur, der allein deinem Vater kokett vorkam. Vielleicht hat Paul ihn nur angebetet als Prediger und Bändiger des biblischen Grauens. Vielleicht hat er deinen Vater auch geliebt als Moses, Jesus oder Gott. Doch dein Vater hat sich angemacht gefühlt. Es hat sich etwas geregt bei ihm, was sich nicht regen durfte.«
    Ein böses Lachen schüttelte Richard.
    »Der zweite Mord geschah 1975.«
    »Nein! Nein!«
    »Der kokette Engel landete in einer Mühle wie bei Max und Moritz. In den Achtzigern hat dein Vater ums Überleben seiner Firma gekämpft und weniger Zeit für Bibelstunden und das Überprüfen seiner Jünger auf Herz und schwule Neigungen. Dann musste er verkaufen und hatte wieder Zeit. 1997 stirbt Florian aus Erzingen und landet im Hochleistungshäcksler. Vor fünf Jahren trifft es Marvin aus Roßwangen. Er endet im Gülletank. Dein Vater hat den Zeitungsartikel aufgehoben, ein Bub mit Engelsgesichtchen. Letztes Jahr im Herbst vermodert wieder einer in einem Siloballen. Und jetzt Jannik. Er passt ins Schema. Ich habe ein Foto von ihm gesehen. Ein hübscher Bursche, dessen Körper vollständig zerstört werden musste. Praktischerweise wurden damit auch alle Spuren vorangegangener Misshandlungen verwischt.«
    »Nein! Das ist unmöglich, unvereinbar …«
    »Dein Vater hat sich die Hinrichtungen sicherlich nicht leicht gemacht, Richard. Er hat gewarnt – auch mit Mahnkärtchen –, gepredigt, ermahnt, ins Gewissen geredet, da bin ich sicher.«
    »Nein!« Richard schüttelte den Kopf. »Warum hätte er«, stammelte er, den rettenden Gedanken beim Reden verfertigend, »warum hätte er … warum hätte er denn, wenn das stimmen würde, die Eltern von diesen Buben ermuntern sollen, an den Generalstaatsanwalt zu schreiben, damit die

Weitere Kostenlose Bücher