Allmachtsdackel
große Pflanzenfresser besäßen kein genetisch verankertes Fluchtverhalten.«
Ich jodelte den Sprinter über den Hof. »Und mir hat man immer eingeschärft, das Pferd sei ein Fluchttier. Und das ist doch auch ein großer Pflanzenfresser.«
»Tja«, schmunzelte Barbara auf ihre Hände hinab, die zwischen den Knien lagen, »was werde ich einem Professor widersprechen! Der Richter hat uns jedenfalls nicht mehr für verantwortungsloses Gesindel gehalten. Seit vier Jahren schlachten wir jetzt mit Kugelschuss auf der Weide. Wir schießen vom Traktor aus und ziehen das betäubte Rind in einen Schlachtkasten auf den Traktoranhänger, wo wir es ausbluten lassen. Zerlegt wird es dann in einem Zerlegebetrieb in Albstadt. Dort haben wir auch unser Kühlhaus, in dem wir das Fleisch abhängen lassen. Bei Rind ist die enzymatische Reifung essenziell. Zu früh verkauftes Fleisch zieht Wasser, wird trocken und schmeckt fad. Wir verkaufen ausschließlich bei uns im Laden. Da vorn rechts.«
Ich schwenkte auf das Sträßchen ein, das wir gestern Nacht entlanggewandert waren. Wir fuhren in die Sonne hinein, die es gerade so über die umliegenden Berge der Zollernalb geschafft hatte. Bewaldete Hänge führten den Blick ins Tal gen Stockhausen, aus dem, begleitet von Pappeln, der Schalksbach herbeigurgelte. Die Straße bog über ihn hinweg, an der Stelle, wo er in die Eyach mündete und sich das Baumwerk zur Düsternis verdichtete. Wir rollten hinauf ins Dörfliche zwischen Tannen.
»Fahr mal rechts«, sagte Barbara, obgleich es nach Albstadt eigentlich links gegangen wäre. »Ich will noch schnell zum Supermarkt.«
Ein Schild markierte das Ende von Dürrwangen und den Beginn von Frommern. Und wieder ging es über eine Brücke, diesmal über die Eyach, die von Osten kam, durchs Zeitental mäanderte, durch Balingen floss und schließlich zum Neckar entschwand. Das Restaurant und Internetcafe Bergblick wachte am Hang überm Zeitental. Bis zum Weber’schen Haus durfte es meinem Gefühl nach nicht mehr weit sein.
»Langsam! Halt, Moment. Stopp mal!«, rief Barbara plötzlich.
Der Sprinter kam ruckzuck zum Stehen. Cipión purzelte tief in den Fußraum.
»Da sind Maxi und Samanta.«
Eine wehende Gestalt kam eine steinige Fahrspur aus dem Tal herauf. Es waren nicht nur Maxis kupfrige Haare, die flatterten, sie trug außerdem einen langen schwarzen Rock und winkte. Barbara kurbelte das Fenster hinunter.
»Fünf Pfosten an der Kurve«, sagte Maxi. »Umgelegt.« Sie zögerte. »Außerdem … außerdem liegt da einer.«
»Wie? Da liegt einer?«, fragte Barbara.
»Im Wasser. Total zermatscht. Man erkennt es gar nicht gleich.«
»Ich bitte dich, Maxi!«
Das Kind lächelte versonnen. Barbara stieg aus. Ich auch. Cipión stürzte sich hinterher.
»Wo genau liegt er?«, fragte Barbara. »Zeig es mir.«
Barbara voran, Maxi hinterher, dann ich, dann die beiden Hunde, eilten wir den Steilweg hinunter. Schon nach ein paar Schritten befanden wir uns in grüner Wildnis. Kein Haus war mehr zu sehen. Fliegen summten. Die Pfähle mit Elektrodrähten waren bis in die letzten Winkel der Wiese gesteckt, die zwischen dem Hang von Frommern und der Eyach klemmte. Die 12-Volt-Batterie, die den Zaun mit Strom versorgte, tickte nicht mehr.
»Sie war aus«, sagte Maxi.
Die Hunde mit ihrem Gespür fürs Wichtige hielten sich eigenartig zahm hinter uns. Hier und dort büschelte auf dürrer Grassohle der giftige Hahnenfuß. Ein Graureiher erhob sich und flog über die Pappeln hinweg. Die Eyach kurvte in Bögen durchs Tal, der Elektrozaun folgte mit seinen weißen Seilen dem Ufer. Der Fluss stockte schließlich in einem U-Bogen zwischen Ölschieferbänken und zerfiel in Pfützen und Lachen, auf denen die Wasserläufer hin und her huschten. Beide Ufer waren verwüstet, als wäre eine Herde Rinder über sie hinweggetrampelt. Die Zaunpfähle waren aus dem Boden gebrochen, die Elektroseile von zweihundert mal vier Paarhufen in den Staub gestampft, ins Wäldchen dahinter war eine Schneise getrampelt.
Das Wasser ölte schwärzlich zwischen dunklem Schiefer und Geröll. Es war von Blasen zersetzt. Die Blasen waren aus Stoff. Ein ekliges Summen lag in der Luft.
Barbara griff Samanta ins Halsband. Cipión stand wie festgewurzelt, die Nase erhoben, die Ohren unbehaglich zurückgelegt und die Rute gesenkt. Es war das zweite Mal innerhalb von vierundzwanzig Stunden, dass er den Tod roch. Er gefiel ihm nicht. Da ähnelte er Richard.
Fürs menschliche Auge war er gar
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