Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
geschnittenem Windfang aus gelbem Glas, das genauso gut in einem Vorort Stuttgarts hätte stehen können, wo man samstags die Kehrwoche machte. Im alten Fachwerkbauernhaus direkt am Fluss war der Laden untergebracht. Davor fünf Kundenparkplätze. Auf der anderen Seite des Wohnhauses standen eine Remise und die Neubauruine einer Halle ohne ersichtlichen Verwendungszweck.
    »Das hat uns der Neffe vom Filserbauern eingebrockt!«, bemerkte Barbara. »Der hätte einen neuen Stall bauen sollen. Aber er ist erst pleitegegangen und dann mit unserem Geld und dem von anderen nach Mallorca abgehauen. Wegen ihm haben wir die Rinderherde überhaupt nur.«
    Barbara öffnete das Tor eines Garagengebäudes, in dem ein Traktor und allerlei spitzes und spießiges Gerät wie Heuwender, Madenwerfer und Ballenpresse standen. Daneben parkte ein weißer Sprinter, auf dessen Hecktüren in orangefarbener Schrift ArcheRind – Zeitentalhof Frommern prangte.
    »Meine Mutter hatte einen Boxenlaufstall mit modernen Melkständen haben wollen. Aber, wie gesagt, der Filserneffe hat uns betrogen. Die Kühe mussten den ersten Winter draußen bleiben, mit Zufütterung und Unterstand. Vierzig Kühe waren es damals. Wir haben gedacht, wir kriegen den Stall im zweiten Sommer fertig, wenn alle zusammen helfen. Der Filserbauer wollte auch mitmachen und Knechte schicken. Aber daraus wurde nichts, weil seine Frau Heidrun mit Jannik schwanger war und es Komplikationen gab. Sie musste liegen und fiel auf dem Hof aus. Unsere Kühe blieben das ganze Jahr auf der Weide. Da wir sie draußen nicht melken konnten, ließen wir die Kälber bei den Kühen. Ich war damals gerade mit Jacky schwanger und hatte schon zweie. Mir war es ganz recht, dass ich nicht auch noch das Geschäft mit dem Reintreiben und Melken hatte. Die verwildern euch, hat der alte Josef Filser uns vorhergesagt. Bei Rindern geht das ganz schnell. Und ich sag dir was: Er hatte Recht. Die ersten Bullenkälber wurden geschlechtsreif und deckten die Kühe. Und ab da war Schluss mit Reintreiben oder Am-Halfter-Führen. Aber damals hatten wir andere Sorgen. Meine Mutter musste sich an der Galle operieren lassen. Meine Kinder machten die Kinderkrankheiten durch. Wir haben alle Tiere abgeschafft, die Schweine, Hühner und Gänse. Du weißt ja, was die Viecher für Geschäft machen. Was habt ihr für einen Hof?«
    »Autos«, sagte ich. »Mein Vater war Gebrauchtwagenhändler, bis er an einem Herzinfarkt starb.«
    »So?« Barbara wandte sich einem Stapel von blauen und roten Plastikkisten zu, der an der Wand stand. »Zum Glück hatten wir Jürgens Gehalt als Lehrer. So kamen wir über die Runden. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir auch die Rinder abgeschafft. Aber Jürgen wollte nicht. Er kommt aus einer Karlsruher Lehrersfamilie und hatte sich immer einen Hof gewünscht. So kam es, dass wir auf einmal eine urwüchsige Herde hatten. Kühe, Kälber, Stiere, die nach uraltem Rhythmus leben, grasen, wiederkäuen, buhlen und sich paaren, wohlgeordnet, zufrieden und gesund. Die diversen Rindergrippeepidemien gingen spurlos an ihnen vorüber. Mit vier zehn hat Vicky die wissenschaftliche Bedeutung der Herde entdeckt und angefangen, sich mit ihr zu beschäftigen. Wochen und Monate verbrachte er auf der Weide. Er meinte, so müssten die Auerochsen gelebt haben. Von denen ist das letzte Exemplar im siebzehnten Jahrhundert gestorben. Inzwischen gibt es in Tierparks wieder Nachzuchten. Aber sie leben nicht wild wie unsere. Wir haben zwar nur ganz normales Fleckvieh, Milchkühe ursprünglich, aber Vicky hat es Archerind getauft. Nach der Arche Noah, auf der immer zwei Tiere einer Gattung die Sintflut überlebt haben. Bei unseren Rindern hat die alte Sozialstruktur überlebt, die wilde Seele, wie er das nennt. Allerdings gab es ein Problem. Die Herde durfte nicht in dem Tempo weiterwachsen. Sie brauchte einen natürlichen Feind. Und zwar uns. Wir müssten schlachten!«
    Barbara öffnete die Rücktüren des Sprinters und begann, die Plastikkisten auf der Ladefläche zu stapeln.
    »Aber mach das mal, wenn du keine Kuh am Strick rausführen kannst, und einen Stier schon gar nicht. Und Cowboys sind wir leider nicht.«
    »Abschießen«, schlug ich vor.
    »Schlachtvieh durfte bis vor ein paar Jahren nur mit dem Bolzenschussapparat getötet werden. Den setzt man direkt auf dem Schädel auf. Der sogenannte Kugelschuss auf der Weide war verboten. Ende der Neunziger gab es dann eine Novelle des

Weitere Kostenlose Bücher