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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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setzte sich auf den einzig freien Platz über Eck neben mir. Er roch nach Stammtischpolitik am Vormittag, nach Schweiß, Zigaretten und Bier.
    Vicky bremste das Reinhauen, indem er die Hände faltete und »Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast« aufsagte.
    »Amen.«
    Jürgen nahm sich. Unter seinem Arm hindurch begegnete ich Barbaras Blick. Sie saß mit halber Arschbacke auf der Kante im Unglück der Kompromisse, zu denen das Leben sie gezwungen hatte. Ein Schauer surrte mir das Rückgrat hinunter und versickerte in meiner Arschfalte. Meinte sie wirklich mich?
    »Journalistin«, hörte ich Vicky sagen. »Sie will über unsere Herde schreiben.«
    »Für welche Zeitungen schreiben Sie?«, fragte mich Jürgen Binder überfallartig. Ein Mann, der ohne Zweifel Zeitungen las.
    »Für diverse Sonntags- und Wochenendbeilagen. Als Schwabenreporterin Lisa Nerz. Manchmal auch über Verbrechen.«
    »Verbrechen? Waren Sie nicht beim Stuttgarter Anzeiger?«
    »Da bin ich rausgeflogen, wegen erwiesener Unfähigkeit.«
    Er lachte. Abgehakt.
    Wieder begegnete ich Barbaras Blick. Die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter war unverkennbar: die gleichen grauen Augen, der gleiche bullige Zuschnitt von Brauen und Stirn, nur dass im Gesicht der Alten der Eigensinn längst eingeschlafen war.
    »Kennen Sie das Schwabenabitur?«, überfiel mich Jürgen erneut, nachdem wir Schüsseln und Teller geleert hatten. Maxi kicherte sich gemütlich auf ihrer Bank ein. Jacky lächelte, Henry grinste.
    Jürgen stand auf, holte Papier und Stift aus einer Schublade und setzte sich wieder zu mir. »Also, passen Sie auf. Ich zeichne hier ein Quadrat mit zwei Strichen.« Er strichelte ein Quadrat und zog kreuzweise die Diagonalen.
    »Ja«, sagte ich.
    »Falsch. Das sind vier Dreiecke.«
    Barbara erhob sich, ging zur Spüle, füllte ein Glas unterm Wasserhahn, nippte daran und blieb mit gekreuzten Armen an die Spüle gelehnt stehen.
    »Nächste Frage. In Roßwangen bringt der Storch fünf Kinder, in Dotternhausen sieben. Wie viele Kinder hat der Storch insgesamt gebracht?«
    »Vierzehn, äh … zwölf.«
    »Falsch. Der Storch bringt keine Kinder.«
    Maxi kicherte. Jacky schmunzelte in ihren Beutel Tabak hinein, in dessen Krümeln sie sich eine Zigarette drehte.
    »Dritte Frage. Passen Sie gut auf! Ich schreibe hier ein kleines I mit einem Punkt. Sehen Sie das?«
    »Ja.«
    »Falsch. Ein kleines I hat immer einen Punkt. Ein kleines I mit Punkt müsste zwei Punkte haben.«
    Die Kinder gackerten glücklich. Jürgen lehnte sich zufrieden zurück. »Ein Witz«, sagte er aufgeräumt.
    »Jürgen, bitte!«, rief Barbara von der Spüle her.
    »Also …«
    »Jürgen!« Barbara stellte das Glas mit einem Klong in die Spüle. »Du weißt, dass ich das nicht ausstehen kann.«
    Jacky legte ihre gedrehte Zigarette in den Tabaksbeutel und fing an die Teller zusammenzustellen. Ihr Gesicht war hart. In einer Familie nahm immer nur eines der Kinder die Konflikte seiner Eltern auf sich. Vermutlich war Jacky in eine Lebensphase ihrer Eltern hineingewachsen, in der es mehr als davor und danach gekracht hatte.
    Jürgen holte Luft. »Also, was ist der Unterschied …«
    »Jürgen!«, sagte Barbara mit angelegtem Kinn. »Wenn du diesen Witz erzählst, dann kündige ich dir meine Freundschaft auf.«
    Jacky ließ die Teller scheppern, und Henry maskierte ihre Lippen mit einem Lächeln. Sie kannte ihre Eltern am längsten und besaß als Erstgeborene das Recht auf ein oder zwei veritable Neurosen. Vicky popelte an seinem Insektenstich herum. Er hatte sich im Harem seines Vaters in die intellektuelle Parallelwelt des Forschens und Glaubens zurückgezogen und spielte den Unberührbaren. Die kleine Maxi betrachtete ihren Vater mit blankäugiger Neugierde. Er war so auf seine Pointe konzentriert, dass ihm völlig entging, dass er gerade seine Ehe riskierte.
    »Also, was ist der Unterschied zwischen …«
    Mit zwei Schritten war Barbara zur Tür hinaus.
    »Was ist der Unterschied zwischen einem Schwulen und einem BigMac?«
    Niemand erwartete, dass ich die Antwort gab.
    Jürgen beugte sich vor. »Der BigMac furzt nicht, wenn man die Gurke rauszieht.«
    Henry lachte ein überlautes Tochterlachen, bis zum Rand gefüllt mit Kumpanei, die vom Vater nie erwidert werden würde. Jacky kicherte gegen ihren Willen. Maxi lachte, weil alle lachten, und Vicky künstelte ein Lächeln auf seine Lippen.
     

17
     
    »Es gibt zwei Hierarchien nebeneinander«, erklärte er, »die Bullen-

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