Allmachtsdackel
geschossen?«
»Mama und Jacky glauben das.«
»Was hätte er damit bezwecken sollen?«
»Er hat uns mal verklagt wegen Tierquälerei. Eine Kuh war uns über Nacht während der Geburt eines Kalbs verendet und lag einen halben Tag tot auf der Weide. Während des Prozesses, letztes Jahr, wurden zwei Kühe durch Schüsse verletzt. Aber wir wurden freigesprochen.«
»Was hatte er eigentlich gegen euch?«
Vicky zuckte mit den Schultern. »Er fand, dass Mama uns keine anständige christliche Erziehung angedeihen lässt. Und Mama hat auch eine sehr provozierende Art.« Er lachte auf. »Ich weiß noch, wie sie einmal mitten im Gottesdienst aufstand und eine Quotenregelung für den Himmel beantragte. Es gehe nicht an, dass Gott keine Tochter habe und Jesus keine Schwester, und überhaupt werde es Zeit, dass an der Spitze mal eine Göttin stehe. Erst dann werde sie ihre Töchter konfirmieren lassen. Das war, kurz bevor ich in den Konfus sollte. Da mussten wir uns vorher öfter im Gottesdienst zeigen.«
Ich musste lachen.
Er grinste schief. »Voll peinlich! Aber bei uns war überhaupt alles peinlich. Als ich klein war, hat sich Oma noch jeden Morgen da drüben am Wasserhahn rasiert, mit Seife und Pinsel. Und sie hatte nicht nur so einen kleinen Damenbart.« Er lachte. »Inzwischen benutzt sie ihren Braun oben in ihrem Bad. Den nächsten Krach hat Mama wegen der Trompete angezettelt. Dabei hatte ich sie mir von Martinus zur Konfirmation gewünscht. Aber Mama hat sich tierisch aufgeregt. Andere schenken Sparbücher, und er schenkt etwas, was ihm nicht einmal gehört. Damals habe ich zum ersten Mal von dem Martinus sein Früchtle gehört, das es daheim nicht ausgehalten habe und auf und davon sei, verschollen in Argentinien. So die Version von Oma. Die hatte sich wegen ihrem Schnallentreiber und weil Mama ein Heckenkind ist auch viel anhören müssen. Mama hat erzählt, dass es, als sie Kind war, kaum Kontakt gegeben hat und dass das Weber-Kind nicht mit ihr spielen durfte. Aber als Mama dann selber Kinder bekam, hat Martinus sich wieder interessiert. Kinderseelen für Jesus retten, sagt Mama. Er hat Stunden abgehalten, und alle Konfirmanden mussten hin, sonst hat er einen zu Hause besucht und den Eltern ins Gewissen geredet. Er hatte das Gemeindeleben total im Griff. Das halbe Gemeindeblatt hat er geschrieben. Erst Frischlin hat in den letzten Jahren versucht, ihn etwas zurückzudrängen. Martinus musste auch kürzertreten, wegen seines Herzens. Der Arzt hat ihm viel Bewegung verordnet. Das führte dann allerdings dazu, dass Martinus wegen jedes überfüllten Papierkorbs, den er bei seinen Spaziergängen entdeckte, an die Stadt geschrieben hat.«
»Tja, das ist der Querulant, der in jedem Weber steckt!«
Vicky blinzelte. »Letztes Jahr hat er dann angefangen, sich für Maxi zu interessieren. Er tauchte verschiedentlich hier auf dem Hof auf, und zwar immer nur dann, wenn Mama nicht da war.«
»Der alte Schwerenöter!«
Vicky quälte sich ein Lächeln ab. »Maxi war allerdings auch ein bisschen naiv. Andererseits, woher hätte sie wissen sollen, was sie auslöst? Sie hat ihm das mit ihren Viechern erklärt.«
»Die Jungfernzeugung?«
Das Wasser dampfte, wie ich erst jetzt bemerkte, schon eine Weile unterm Topfdeckel hervor. Ich sprang auf und schüttete die Spätzle aus der Tüte hinein.
»Wir wissen nicht, was genau passiert ist«, fuhr Vicky fort. »Maxi schweigt sich darüber aus. Martinus muss sie sehr gekränkt haben. Als Mama heimkam, fand sie Maxi in Tränen aufgelöst vor. Sie hatte fest damit gerechnet, dass ihr Großonkel es toll findet, dass sie die Jungfrauengeburt Jesu beweisen will. Stattdessen muss er die ganze Apokalypse über sie ausgeschüttet haben, mit der Hure Babylon und Höllenschlund und allem.«
»Himmel.«
»Die Jungfrauengeburt Jesu ist eben ein singuläres göttliches Ereignis. Martinus war Lutheraner. Sola gratia, sola fide, sola scriptura, solus Christus.«
»Ich hatte nie Latein.«
Ein glückliches Lächeln kräuselte Vickys melancholischen Bart. »Nur die Gnade, nur der Glaube, nur die Schrift und nur Christus. Nicht durch unsere Handlungen gelangen wir zu Gott, sondern durch unseren Glauben, und nur durch die Gnade Gottes, der in Jesus für uns gestorben ist, werden wir errettet.«
Vicky gehörte zu den Menschen, die »Gott« und »Jesus« mit verhaltenem Atem aussprachen, leise und bedeckt und mit gesenkter Stimme, so wie man im Gespräch peinliche Worte von intimer Größe
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