Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
gekocht und auf den Tisch gestellt.
    »Es ist nicht ansteckend«, sagte ich.
    »Was?«
    »Meine Krankheit.«
    »Was denn für eine Krankheit?«
    »Morbus Nerz. Ein neurologischer Defekt, der eine Daueridentitätskrise bewirkt.«
    Sie lachte. »Mit ein bisschen Makeup könnte man durchaus was aus deinem Gesicht machen. Wenn du willst, dann zeige ich es dir. Ich bin Maskenbildnerin, wenn auch abgebrochene. Woher hast du die Narben eigentlich? Hat dich dein Freund geprügelt?«
    »Henry, es ist gut, ja!«, mahnte Barbara.
    Maxi lächelte versonnen, Jacky trotzte Desinteresse auf ihre verwaschenen Lippen, Henry starrte mich an. Eine Erklärung war unumgänglich.
    »Es war eine Windschutzscheibe.« Ich musste rechnen. »Bald fünfzehn Jahre ist das jetzt her. Mein Mann ist mit seinem Porsche frontal gegen einen Birnbaum gefahren. Er war sofort tot, ich nicht.«
    »Du warst verheiratet?« Die Frage brach mit derartig inbrünstigem Unglauben aus Barbara hervor, dass ich lachen musste.
    »Jedem Menschen sind im Leben zwei Irrtümer gestattet.«
    »Und welcher ist der andere?«, fragte Henry.
    »Hat jemand Oma Bescheid gesagt?«, fistelte Jacky mit allen Anzeichen von Eifersucht dazwischen. »Maxi, geh doch mal schnell.«
    »Geh selber!«
    »Ich glaube, Vicky holt sie schon«, bemerkte Barbara.
    Anna, die sich an diesem Morgen etwas nachlässig rasiert hatte, war großmutterwarm angezogen. Sie trug eine langärmelige Bluse, Rock und Unterrock und fleischfarbene Stützstrümpfe. »So, was feiret mer denn?«, fragte sie, während sie am Stock zu ihrem Stuhl ging. »Hasch dich endlich verlobt, Vicky? Wird au Zeit. Man hat ja scho sonscht ebbes denkt!«
    Vicky errötete. Vermutlich trug er seinen Jesusbart wegen seiner Neigung zu erröten.
    »Aber a bissle hübscher hen i mir dei Freindin scho vorgschtellt.«
    Maxi kroch unter dem Tisch hindurch und tauchte auf der Bank an der Wand zwischen Henry und einem Berg Müll vom Tisch in der Bankecke wieder auf. Ein Platz, der dem Nesthäkchen einerseits Schutz davor bot, herumgeschickt zu werden, aber andererseits etwas von Strafbank hatte. Vicky residierte am kurzen Ende des Tischs. Neben ihm am Eck saß Oma Anna. Auf den nächsten Stuhl setzte sich Barbara, zögernd, so als stellte sie sonst die Füße nicht unter den Familientisch. Jacky saß auf dem zweiten Stuhl von der Tür aus, ihrem Stammplatz. Nur zwei Plätze waren noch frei, der an der kurzen Seite vom Tisch neben der Tür, wo ich mich schon gewohnheitsmäßig hinsetzte, und der Stuhl über Eck neben mir an der Langseite.
    Auftritt Jürgen Binder. Als hätte er gewartet, bis wir alle saßen. Er kam durch den Waschküchengang, blieb im Türrahmen stehen, die Hand auf die Klinke gelegt, den Bauch vorgeschoben, ein Bein entspannt, das andere belastet, und begutachtete den Tisch unterm Dampf der Spatzen- und Gulaschschüsseln. »Victor«, sagte er mit der leisen Artikulation derer, die wussten, dass man ihnen trotzdem zuhörte, »dein Motorrad steht im Kies. Wir haben ein Kleinkind auf dem Hof und Publikumsverkehr! Bei grober Fahrlässigkeit zahlt keine Versicherung.«
    Vicky warf mir über den Tisch einen fragenden Blick zu. Ich holte Luft. Aber ich war nicht dran.
    »Henriette!«, nuschelte Jürgen. »Wir besitzen eine Waschmaschine und können uns Waschpulver leisten!«
    »Jürgen!«, sagte Barbara. »Rein oder raus!«
    Er schlenkerte seine langen Beine in die Küche und schloss die Tür. »Maximiliane! Ich habe dir schon mal gesagt, wenn ich noch einmal einen Gecko irgendwo an der Wand kleben sehe, dann ist Schluss mit deinem Zoo!«
    Dann erwähnte ich den Skorpion in meinem Schuh wohl besser nicht.
    »Weißt du eigentlich, was ich für den Strom bezahle, den du für Beleuchtung und Beheizung brauchst? Willst du das künftig von deinem Taschengeld bezahlen?«
    Maxi duckte sich.
    »Den Strom zahle ich«, pampte Barbara.
    »Und du willst den Laden also tatsächlich wieder am Wochenende aufmachen. Hat Richard dir nicht erst gestern erklärt, dass du dir die Gesetze nicht selbst backen kannst?«
    »Jürgen! Wir wollen essen! Lisa hat gekocht.«
    Seine dunklen Augen knöpften sich an mir fest. »Sie sind also Lisa Nerz.«
    Ich überlegte, ob er sich erst setzen würde, nachdem er auch mich abgekanzelt hatte, und erwog zuzugeben, dass ich Vickys Maschine auf unsicherem Kies abgestellt hatte.
    »Na dann, willkommen«, sagte Jürgen, plötzlich zum harmlosen Trottel mutiert, dem der Hemdzipfel unterm Bauch aus dem Gürtel hing. Er

Weitere Kostenlose Bücher