Allmachtsdackel
kürzlich im Religionsunterricht ausgelacht worden, weil sie daran glaubt, dass Jesus vom Tod auferstanden ist.«
Ja, dachte ich, für ein halbwüchsiges Mädchen wie Maxi war Gelächter eine tödliche Kränkung. Zum Beispiel das Gelächter einer Klasse über ihren Glauben an die Jungfrauengeburt Jesu, die sie für bare Münze genommen hatte, weil so was bei Käfern und Kopfläusen normal war. Ob Maria denn eine Kopflaus gewesen sei, hatten die Buben gejohlt. Und Maxi hatte beschlossen, Biologie zu studieren und zu beweisen, dass die Parthenogenese bei Säugern möglich war. Von ihrer Jakobsleiter hatte sie geträumt. Doch der Gottvater, der die Hände nach ihr hätte ausstrecken müssen, hatte sie von der Leiter gestoßen. Der rechte Glaube brauche keinen naturwissenschaftlichen Beweis, hatte Martinus gedonnert. Allein der Gedanke sei Gotteslästerung und Schande. Was sie sich denn da anmaße! Kein Wunder bei der Mutter! Hammerschläge für eine kindliche Seele. Und über Gift verfügte Maxi reichlich.
Ich nippte am Kaffee und sah den entseelten Martinus wieder vor mir liegen mit den zwei kleinen Wunden an den Händen. Ritzer nur, wie sie bei Gartenarbeit entstanden. Oder rührten sie von einem Skorpionstachel her? Zu einer deutlicheren Wundschwellung war es womöglich nur deshalb nicht mehr gekommen, weil Martinus mit seinem schwachen Herzen sofort am Gift gestorben war.
»Ah, ehe ich es vergesse!«, fuhr Lotte plötzlich auf. »Victor, ich habe da was für dich. Richard, wo ist es denn?«
Richard begab sich, gefolgt von Cipión, ins Nebenzimmer und kam mit einem silbernen Flachmann wieder. Vickys lange Finger schlossen sich taktil verliebt um den glatten Körper, aus dem ein abgeschliffenes Relief hervorknubbelte, das ein Medusenhaupt darstellte.
»Ich weiß«, lächelte Lotte, »der hat dir immer gut gefallen, gell? Und Richard kann nichts damit anfangen, sagt er, und ich schon dreimal nicht.«
»Danke«, sagte Vicky artig und zufrieden bis hinter die Ohren. Er schüttelte das Fläschchen und genehmigte sich einen Schluck. »Hm, lecker«, schmatzte er. »Ein Magenbitter.«
»Und Vickys Schwestern bekommen nichts?«, platzte es aus mir heraus.
Die Gesichter fuhren herum, nur Richards nicht. Jürgen lachte, als hätte ich eine Quotenregelung für Erbschaften beantragt. Lotte staunte mich mit in Falten eingelegten blauen Äuglein an und gab kleine erschreckte Töne von sich.
»Ja, eigentlich hat sie Recht«, murmelte sie. »Was machen wir da jetzt? Was könnte den Mädchen denn gefallen? Richard, fällt dir da was ein? Die Briefwaage für Jacky, aber die jungen Leute schreiben doch heutzutage keine Briefe mehr. Oder das Schreibset? Ach, wissen Sie was, Fräulein Nerz, kommen Sie, wir gehen jetzt mal gucken.«
Vor mir her wuselte sie durch die Räume. Cipión hinterher.
»Sie müssen schon entschuldigen, dass ich Sie heute Morgen so garschtig angefahren habe. Ich bin halt a Schwertgosch, sagt Hermine immer. Also, hier finden wir nix. Die Neigungswaage, die ist für Richard. Alle andern hat Martinus ja nach Pfingsten dem Waagenmuseum gegeben. Damit es weg ist und niemand Begehrlichkeiten entwickelt, wenn er mal tot ist. Das sind ja unersetzliche Werte, hat Dr. Zittel behauptet. Ohne Martinus hätte er sein Buch nicht schreiben können. Schreib es doch selber, habe ich zu Martinus gesagt, aber er wollte nicht. Je mehr Worte, desto mehr Eitelkeit, fand er. Nur die Neigungswaage hat er behalten und dem Museum nur eine Kopie gegeben, die wo ihm die Gesellen zum Sechzigsten gebaut haben, bis aufs i-Tüpfelchen originalgetreu. Einen hübschen Ohrstecker haben Sie. Er ist doch echt? Ein halbes Karat? Ich kenne mich da nicht so aus. Martinus hatte es nicht mit Diamanten. Ist doch nur Kohlenstoff, hat er immer gesagt.
Er war überhaupt nicht romantisch veranlagt. Hat Richard Ihnen den geschenkt?«
»Nein, ich mir selbst.«
»Sie geben sich ziemlich unabhängig. Aber das ist wohl so heutzutage. Kann auch ziemlich … anstrengend sein. Hab ich Recht? Ich war ja nach dem Krieg gottfroh, dass ich nicht mehr alles selber machen musste mit den Ämtern und mit der Firma.«
Wir stiegen die Treppe in den ersten Stock empor.
»Ich habe eigentlich Krankenschwester gelernt. Ich war im Elsass. Was ich alles gesehen habe! Aber damals hat man selber zusehen müssen, wie man damit klarkommt. Man kam ja auch gar nicht so zum Nachdenken. Die Sorge um den Mann, der wo verwundet aus dem Krieg heimkommt und gepäppelt werden muss.
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