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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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gerissen und ist niemals an denselben Ort zurückgekehrt. Ideal, wenn eine Population sich neue Reviere erschließen will. Bruno hat seine Existenz riskiert und verloren. Er wurde von uns abgeschossen. Aber jede Population braucht solche Eroberer.«
    »Und Homosexuelle«, vollendete ich.
    Vicky blickte sich verwundert um und entdeckte, was er für mein Missverständnis hielt. »Auch homosexuelles Verhalten, ja. Aber das da drüben ist nur eine bullige Kuh. Kühe in der Vorbrunst reiten auf ihre Artgenossinnen auf. Vermutlich dient das Verhalten dazu, die Aufmerksamkeit der Bullen zu erregen.«
    Mit Heuschreckenbeinen stand er vor mir, befingerte die Knöpfe seines Hemds und dozierte: »Die eigentliche Brunst dauert nur zwanzig Stunden. Dann muss klar sein, wer sie kriegt. Schade, dass die Herde momentan ruht. Die Kämpfe der Stiere um eine bullige Kuh sind interessant. Sie richten regelrechte Kampfplätze ein, meistens etwas abseits der Herde. Drei oder vier gehen aufeinander los und versuchen einander aus dem Feld zu schlagen.«
    »Und der Sieger kriegt sie dann.«
    »Im Prinzip, ja. Aber letztlich wählt die Kuh ihren Partner aus. Nicht anders als bei uns. Da entscheidet ja auch die Frau, ob’s klappt, nicht?« Er grinste schief. »Jedenfalls, nicht jede Kuh zieht mit dem Sieger zum Deckakt ins Gebüsch. Und es ist auch nicht immer der Größte und Kräftigste, der ihr gefällt. Wir wissen nicht, was da noch eine Rolle spielt, aber es ist anzunehmen, dass auch genetische Sympathien mitspielen. Allerdings besteht für die Kuh, die den Sieger ausschlägt, ein gewisses Risiko. Wenn der stärkste Stier nicht zum Zuge kommt, stürzen sich nämlich alle anderen auf sie.«
    Ich erkannte darin einen gewissen Widerspruch zur Wahlfreiheit der Kühe, der Vicky nicht aufzufallen schien. Aber die Welt der Frauen gehörte, wie mir schien, ohnehin nicht zu den Bezugsgrößen seines Gefühlslebens.
    »Kommt es dann zur Gruppenvergewaltigung?«
    Vicky runzelte die Stirn. Nein, mit dem würde ich auch an einem noch heißeren Tag nicht warm werden.
    »Sie verfolgen und belästigen sie nur«, sagte er. »Aber bespringen kann sie keiner, wenn die Kuh nicht will. Dazu muss sie ja stehen bleiben.«
    »Na dann!«
    »Du würdest dich wundern, wie zärtlich die Stiere mit ihrer Auserwählten umgehen. Keine Spur von wildem Stier. Ganz im Gegenteil: Gerade die Stiere pflegen ein im Grunde sehr kultiviertes Miteinander. Rangkämpfe, Konkurrenzkämpfe, Werbung und Begattung unterliegen strengen Regeln. Eine perfekte Ordnung. Jeder weiß, wo er steht. Und dennoch ist die Ordnung nicht statisch. Jeder Stier kann aufsteigen, wenn er bereit ist, sich mit Stärkeren zu messen.«
    Ich zog Cipión aus dem Mauseloch, das er zu einem Krater ausgebuddelt hatte. Er fiel, kaum hatte ich sein Halsband losgelassen, in den Krater zurück und buddelte weiter. Eine eher sinnlose Leidenschaft, denn das Loch war längst verschüttet, aber vielleicht war es ja zu was gut.
    Als wir weitergingen, kam er uns doch hinterhergerannt.
     

18
     
    Maxi hätte ein Motiv gehabt, Martinus zu töten, dachte ich. Aber das gehörte nicht hierher. Wir saßen mit zusammengepressten Knien auf dem Strecktulpensofa bei Lotte, klimperten mit Kaffeelöffeln und stocherten im Himbeerkuchen. Die blauäugige Hermine und der Herr mit den Lochschuhen waren auch wieder da. Richard saß stumm mit übereinandergeschlagenen Beinen in einem Sessel. Cipións Leine hatte er mir wortlos überreicht.
    Denn nur wegen der Leine hatte ich mich Jürgen und Victor angeschlossen, als sie mit dem Auto zum Kondolenzbesuch aufbrachen. Wenigstens ein Weg, den ich nicht zu Fuß machen musste. Ich hatte auch gleich wieder gehen wollen, aber Lotte hatte auch mich in den Salon genötigt. »Einen Kaffee trinken Sie doch noch.« Sie wollte die Kondolenztelegramme, -karten und Gebinde des Bürgermeisters, des Landrats, des Landtagsabgeordneten und verschiedener Firmenchefs zeigen. Und immer wieder konnte sie ihre Trauerbeute herumreichen, denn kaum waren die einen gegangen, kamen die nächsten Beileidsbesucher, die alle nicht lange bleiben wollten, sich dann aber setzten, mit den Zungen nach Himbeerkernchen in den Zähnen stocherten und in ihrer Erinnerung kramten. »Bald fünfzig Jahr jeden Donnerstag Jugendbibelkreis. Es war ein besonderer Geist in ihm. Sie haben ihn gemocht, obgleich er ihnen nichts hat durchgehen lassen. Ja, die Jugend braucht Orientierung und Ermutigung zum Glauben. Unsere Tochter ist

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