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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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folglich darüber nachdenkt. Immer wieder, bis er unter Zwang steht, es zu tun. Vicky hat sich intensiv mit diesem Thema befasst: Abartiges Verhalten ist im genetischen Pool einer jeden Gesellschaft angelegt, damit sie für noch nicht absehbare Notsituationen gerüstet ist. Ameisenstaaten dulden sogar Exemplare, die die eigene Art töten.«
    »Hör auf.«, schrie Barbara. »Hört auf. Das hätte ich gemerkt!«
    »Wenn Jannik sein erster Mord war in einer Reihe künftiger im Kampf gegen seine eigene Homosexualität – töten, was man begehrt –, dann musst du nichts gemerkt haben.«
    Richard hustete und fuhr sich mit der Hand, in der er die Pistole hielt, über die Stirn. Mir wurde schwindelig vor Angst. In was für einen Irrsinn war ich da geraten?
    »Der Tote im Häcksler!« Richard hustete angestrengt. Schweiß perlte ihm auf der Stirn, und ich hoffte inständig, dass er das nächste Mal die andere Hand nahm. »Victor und er wurden zusammen konfirmiert. Als ich zu Pfingsten hier war, hat mir Victor von dem Jungen erzählt. Er hieß Florian. Er war als schwul verschrien. Victor hat mir erzählt, dass er damals Abscheu und Angst empfunden habe und dass er irgendwie froh gewesen sei, als der Junge tot war, und dass er sich deshalb schwere Vorwürfe mache und täglich für den Jungen und um Vergebung für sich selbst bete.«
    Und das fiel Richard erst jetzt ein?
    »Fast ein Geständnis«, bemerkte ich.
    »Ich muss sofort hier raus!«, sagte Barbara.
    Die Gewalt von Wind, Hagel und Wasser drückte sie gegen die Hauswand. Richard warf ihr die Jacke seines Vaters über.
    Ich hatte Lottes hellblauen Popelinemantel im Auto gelassen. Er hätte ohnehin nicht viel genützt. Ich wäre in zehn Sekunden durchnässt gewesen, so war ich es in zwei Sekunden. Während Richard und Barbara den Trampelpfad entlang zum Elektrozaun mehr wankten als rannten, die Arme schützend gegen die Wassermassen erhoben, schob ich den Riegel zu, hängte das Schloss ein und ließ es zuschnappen. Eigentlich schade, es hatte mich so viel Mühe gekostet, es aufzubringen.
    Richard und Barbara erreichten den Elektrozaun und stiegen darüber. Cipión klebte, dünn vor Nässe, an Richards Fersen. Die Wiese war weiß von Hagelkörnern. Ich dachte Diverses. Ich dachte mich meiner Zeit voraus: Cipión hochnehmen, den beiden hinterherlaufen, vom Regen geschoben zu den Autos rennen, das Wasser in den Kragen und die Beine hinabrinnen fühlen.
    Da schlug der Blitz ein.
    Ich sah es, obgleich ich es nicht hätte sehen dürfen, denn ich wollte gerade das Bein über den Elektrostrick schwingen. Aber ich sah, wie der Blitz – ein gewaltiger Blitz – herabfuhr, sich in drei oder vier Stränge teilte, in die Tanne hinterm Haus schlug und sie spaltete, sich in den Giebel der Gartenlaube pflanzte und neben mir in den Boden fuhr. Die Tanne kippte und durchbrach das Dach. Der Elektrostrick verschnurzelte unter mir. Feuer sauste den Zaun entlang.
    Dann verglühten mir ein paar Sekunden.
    Ich fand mich auf dem Boden wieder, ein triefendes Gesicht über mir, die Haare in Strähnen in der Stirn. »Lisa!«, flüsterte Richard. »Lisa, bist du in Ordnung? Antworte! Mein Gott, Lisa! Bitte!«
    Keine Ahnung, ob ich antwortete. Ich weiß nicht einmal, ob ich die Augen offen hatte und sah, was ich mich deutlich erinnere gesehen zu haben. Ein rötlicher Höllenschein lag auf Richards zerrissenem Gesicht. Ein unheimliches Krachen und Prasseln war um uns herum.
    »Steht auf.«, hörte ich Barbara schreien. »Kommt! Schnell! Weg da!«
    Ich kam auf die Beine. »Cipión? Wo ist Cipión.«
    »Lass den Hund jetzt!«, schrie Barbara. »Kommt, weg hier! Schnell!«
    Das Gartenhaus brannte. Es brannte lichterloh. Die umgeknickte Tanne speiste die Flammen. Der Regen verdampfte zischend, die Hitze trieb uns hinaus in die hagelweiße Wiese. Eine Explosion jagte eine Stichflamme aus dem Fenster. Das Benzin!
    »Wo ist Cipión?«
    »Komm«, sagte Richard und legte den Arm um mich.
    »Nein, Cipión!«
    »Da ist er doch!« Tropfen sprühten von Barbaras Nase. Sie wirkte klein und verloren in der Jacke von Richards Vater.
    »Wo?«
    »Da!« Sie deutete hinter mich.
    Cipión hatte sich ins Gras geduckt und schnappte wütend nach den Hagelkörnern, die ihn umsprangen. Er schnappte sogar nach Barbara, die sich nach ihm bückte.
    Richard zog seinen Arm von mir, damit ich den nassen Dackel hochnehmen konnte. Gern hätte ich mich dann in Richards Schutz zurückbegeben, aber er hatte befunden, dass ich wieder

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