Allmachtsdackel
prüfenden Blick unter den Brauen hervor, die Schultern dabei gerade rückend.
»Hast du«, fragte Richard, »meinen Vater umgebracht?«
»Traust du mir das zu?«
Richard senkte die Hand in die Jackentasche seines Vaters und zog sie mit der Wehrmachtspistole wieder heraus.
»Und was soll das jetzt werden, Rocky? Willst du uns erschießen? Nur mich? Oder auch Lisa?«
Jetzt nicht lachen!
»Das macht ihr Männer ja so gerne«, setzte Barbara mit Lust zum großen Drama drauf, »das töten, was ihr nicht haben könnt. Das tut kein Tier, das tut keine Frau. So etwas machen nur Männer!«
Ich tastete in meiner Jackentasche nach dem Handy und überlegte, ob ich blind die 112 tippen können würde.
»Ich will nur wissen«, sagte Richard, »ob du meinen Vater umgebracht hast, Barbara. Meine Mutter sitzt nämlich in Untersuchungshaft, weil mein Vater offenbar vergiftet wurde.«
»Ach!« Sie schmunzelte böse. »Kann deine Justiz sich so irren? Und warum hätte ich deinen Vater töten sollen?«
»Für Mord ist kein Grund wirklich gut genug!«
»Und trotzdem kommt gerade Mord immer wieder vor. Wahrscheinlich wollte deine Mutter auch mal was von dem Geld haben, das dein Vater gespart hat, während sie zu Pfingsten in der kalten Bude schlottern musste. Vielleicht hat der alte Bock auch einer Sprechstundenhilfe schöne Augen gemacht und gedroht, sie zu verlassen! Irgendein Tropfen wird das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Kein Grund zur Panik, Rocky. So was kommt in den besten Familien vor. Du wirst es überleben. Und deine Mutter wird nur noch ein paar Jahre im Knast sitzen, falls sie ihr nicht gleich Haftverschonung gewähren. Sechzig Jahre lang hat sie den Tyrannen ertragen, das war vermutlich schlimmer.«
»Er wäre sowieso in absehbarer Zeit gestorben. Warum hätte sie es jetzt tun sollen?«
»Genau darum! Weil er krank war, endlich schwächer als sie selbst. Und dass sie es erst jetzt gewagt hat, heißt nicht, dass sie es im Laufe der Ehe nicht Hunderte Mal erwogen hat. Womöglich hat sie es seit zehn oder zwanzig Jahren geplant. Sechzig Jahre lang hat er über ihr Leben bestimmt, wann sie aufsteht, wann sie isst, wann sie zu Bett geht, wen sie besucht und wen nicht. Da hat sie vielleicht einfach nur seine Todesstunde festlegen wollen. Nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt kann sie sich sogar noch darauf hinausreden, dass sie ihm Leid ersparen wollte. Doch all das, all diese kleinen Gefühle voller Widersprüche und Unlogik, die sind dir natürlich völlig fremd. Und jetzt steck endlich diese alberne Pistole weg.«
Richard lächelte auf die Waffe in seiner Hand hinab. »Traust du mir zu, dass ich schieße, Bullwinkle?«
Sie schlitzte die Augen. »Ich weiß, dass du es kannst. Und was ist tödlicher als dieser vermaledeite kalte Gerechtigkeitssinn der Webers? Himmel, was hat dein Vater mich verfolgt! Und nun kommst du daher, mein alter Freund Rocky, im feinen Tuch. Ein Staatsherrgöttle bist du geworden und glaubst dich im Recht, wenn du – zur Buße! – bei mir abkassierst.«
»Ich habe die Gesetze nicht gemacht«, sagte Richard. »Ich vertrete sie nur. Und ich kassiere auch kein Geld. Die Entscheidung lag bei dir. Warnungen gab es genug.«
Barbara lachte böse. »Ja, die Entscheidung liegt immer bei uns armen Sündern. Kehrt um, und der Herr wird seine Gnade walten lassen. Wenn ich aber keine Gnade will, Rocky? Wenn ich mir mein Glück verdienen will! Auge um Auge, Zahn um Zahn! Cent für Cent.«
»Ich habe dir schon mal gesagt: Du musst deinen Verkauf über einen Biovertrieb organisieren.«
»Und wer soll in den Bioläden unser teures Archerind kaufen? Es liegt so lange in den Kühlregalen, bis es kurz vorm Verfallsdatum zu Sonderpreisen verschleudert werden muss. Da bestellt kein Bioladen nach. So läuft das nämlich. Und jetzt du!«
Richard schwieg.
»Ja! Hauptsache Recht haben! Aber ob andere mit eurem Recht leben können, interessiert euch nicht. Da habt ihr euch längst vornehm absentiert. Du hast keine Kinder großziehen müssen, die heulend nach Hause kamen, weil der Religionslehrer den Zeitentalhof vor versammelter Klasse als Beispiel für Sodom und Gomorra bezeichnet hat. Dein Sohn musste nicht wie unser Vicky jeden Sonntag beim Gottesdienst erscheinen, damit er überhaupt zum Konfirmationsunterricht zugelassen wurde. Einfach weil dein Vater es so wollte. Nein, dafür kannst du nichts, ich weiß. Du hattest dich ja längst verdünnisiert.«
»Du wirfst mir vor, dass ich vor vierzig
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