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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
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Jahren auf eine Stuttgarter Schule gewechselt bin?«
    »Nein! Aber dass du mehr als dreißig Jahre gebraucht hast, um dich wieder blicken zu lassen.«
    »Weil ich mich seit vierzig Jahren frage, ob du mich damals verraten hast, Barbara.«
    Sie blickte ihn perplex an. »Verraten?«
    Richard streckte ihr die Pistole auf der offenen Hand hin, nicht mit dem Lauf, sondern mit dem Kolben. »Dieses Ding habe ich einen ganzen Winter, ein Frühjahr und einen Sommer lang jede Nacht unter meinem Kopfkissen liegen gehabt.« In seiner Stimme flackerte eine seltsame Angst. »Und zwar, um mich damit zu erschießen, sobald mein Vater sein endgültiges Nein über meinen Wunsch sprechen würde, in ein Internat zu gehen. Mich oder … oder ihn!«
    »Du wolltest deinen Vater umbringen?« In Barbaras Stimme schwang eine gewisse Belustigung.
    »Ich habe es aber nicht getan!«
    Das Licht eines Blitzes flackerte durch den kleinen Raum. Der Donner grollte gemächlich hinterher.
    »Hättest du mal, Rocky! Dann hättest du deiner Mutter jetzt U-Haft und Prozess erspart. Und noch vieles andere.«
    »Das entscheiden wir nicht, Barbara. Und dazu brauchen wir nicht einmal die Zehn Gebote. Keine Gesellschaft duldet es, dass irgendwelche Mitglieder andere Mitglieder töten, ganz gleich, wie viel Gutes sie dabei im Sinn haben oder wie viel Böses sie verhindern wollen. Und wenn es doch einmal sein muss, dann haben wir das wichtigste Ritual einer jeglichen Gesellschaft: die Gerichtsbarkeit mit ihren langwierigen Verfahren. Und es ist niemals Rache!«
    »Ja, eure Urteile mit kaltem Verstand! Was ist nur aus dir geworden? Wir hatten Blutsbruderschaft getrunken, Rocky. Erinnerst du dich?«
    »Und als ich dir sagte, dass ich weggehen würde, da hast du mir gedroht, du würdest deiner Mutter sagen, sie solle meinem Vater erzählen, dass sie uns am Fluss erwischt hätte, beim … beim Doktorspielen.«
    Ich musste lachen. Ganz verkehrt!
    »Und jemand hat es ihm erzählt, Barbara! Mein Vater sprach eine biblische Strafe über mich: sieben Tage Wasser und Brot auf meinem Zimmer. Sieben Mittagessen und sieben Abendessen mit dem Gesicht zur Wand in der Ecke des Esszimmers unter dem Menetekel. Und natürlich widerrief er seine Erlaubnis fürs Internat.«
    »Aber schließlich hat er dich doch gelassen.«
    »Ja, weil meine Mutter ihre Ehe infrage gestellt hat, falls mir was passiert. Ich glaube, sie hatte wirklich Angst vor dem, wozu sie mich fähig glaubte. Vielleicht zu Recht.«
    »Du hättest nur zu uns auf den Zeitentalhof ziehen müssen, Rocky. Zu deiner geliebten Tante Anna und zu deiner Freundin Bullwinkle, der du ewige Treue geschworen hattest.«
    »Es wäre nicht gegangen, Barbara. Mit uns, das war ein … ein Kindertraum. Du weißt doch, ich … ich war mir selbst zu sehr Feind. Irgendwann hätten wir uns den Tatsachen stellen müssen.«
    »Danke, dass du mir das jetzt endlich mal erklärt hast. Vielen herzlichen Dank. Ein Kindertraum! Ich dummes kleines Mädchen!«
    »Moment! Halt! Stopp mal!«, rief ich dazwischen. »Schaut euch doch mal diesen Raum an, das Bett, die Handschellen, das Klo, die Plastiksäcke vom größten Kaliber, das Regal mit dem Blumendraht, Klebeband und die Flaschen, hier die klare Flüssigkeit, vielleicht Alkohol, dort das gelbliche Zeug.«
    Zwei Blitze erhellten die Gesichter, der Donner brach gleich darauf über uns herein.
    »Wisst ihr, wie mir das vorkommt? Wie ein Gefängnis. Jannik war nicht freiwillig hier. Er war mit Blumendraht und Handschellen gefesselt und mit Klebeband geknebelt. Und die Rinder sollten alle Spuren seiner Misshandlung verwischen.«
    Barbara zog das Kinn an.
    »Und es gibt nur einen«, sagte Richard, die Pistole auf diese vertrauensselige Art in den Händen drehend, die ich etwas entnervend fand, »der momentan dafür in Frage kommt: Victor.«
    »Das höre ich mir nicht länger an!« Barbara ging zur Tür.
    »Es hat keinen Sinn davonzulaufen, Barbara!«, rief ich. Zumal der Sturm Regen und Hagel in höllischen Kaskaden gegen die Tür trieb. »Du bist nicht schuld daran! Niemand weiß, wie es kommt, dass sich in einem Hirn diese Besessenheit mit dem Sexualtrieb verbindet. Ein rein männliches Phänomen, der Serienmord …«
    »Keineswegs«, korrigierte mich Richard. »Bei Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen gibt es das auch.«
    »… unter sexuellen Vorzeichen«, beharrte ich. »Es ist eine Besessenheit, die sich selbst verstärkt und immer tiefer in die Neuronen gräbt, je mehr einer sich wehrt und

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