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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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den Umschlag geben.

24
    Den Umschlag legte er oben auf den gefalteten Anzug.
    Dann zog er den Reißverschluss seiner Reisetasche zu.
    Es gab acht Hotels in Jasper und Umgebung. Bevor er zu Bett ging, buchte er zwei Zimmer im Sawridge Inn.
    Er wollte nicht auf Agnes angewiesen sein. Er war sich unsicher, wie schlecht ihr Verhältnis war. Sie hatten sich ewig nicht gesehen.
    Dann duschte er heiß. Und lange. Scheiben und Spiegel beschlugen. Seine Umrisse verschwommen, schemenhaft.
    Die Gedanken wanderten. Jasper. Arkansas. Heimat.
    Es würden sicher auch ein paar Verwandte da sein. Es gab zwei Onkel väterlicherseits und einen Onkel mütterlicherseits, die noch lebten. Die Familie war klein. Er konnte sich an keine Namen erinnern.
    Nackt ging er durch das dunkle Haus. Die Haut noch feucht.
    Er zündete sich eine Zigarette an. Trank ein Glas Wasser. Dann öffnete er die Terrassentür und sog die kühle Abendluft ein. Er betrachtete seinen Garten. Die Lupinen. Der Buschnatternkopf wiegte die schweren Blüten im Wind. Der Pool immer noch ein schwarzes Loch.
    Gegen vier Uhr früh würde der Wecker klingeln. Er zog sich Jeans und T -Shirt an und stellte ein Paar Turnschuhe bereit.
    Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm, als er die Lehne des Lazyboy herunterfuhr. Erst gegen zwei fiel er in einen kurzen Schlaf.
    Derek wartete am Gate. Das Haar ungekämmt. Jeans und Trainingsjacke statt Anzug. Verschlafen hielt er Tim einen Pappbecher mit Kaffee entgegen.
    Es warteten nur wenige Menschen mit ihm. Wer flog schon nach Little Rock?
    »Ich war seit über zwanzig Jahren nicht mehr in Jasper, oder?« Derek wies auf eine Reihe leerer Sitze. Sie setzten sich.
    Tim musste überlegen. »Wir waren zum letzten Mal mit dir dort, als du elf warst.« Das war sechzehn Jahre her. Zum fünfundsechzigsten Geburtstag von Dereks Großvater. »Du fandest es furchtbar langweilig, weil es keine Kinder in deinem Alter gab.«
    Agnes war kinderlos geblieben, und deshalb waren weder Cousins noch Cousinen da gewesen.
    »Und irgendwann hast du dich weinend auf der Toilette eingeschlossen. Grandpa war fürchterlich betrunken und hat im Restaurant eine Szene gemacht. Du hattest einige Tage lang Angst vor ihm.«
    Sie lächelten beide, doch Tim verspürte Bitterkeit. Ähnliche Szenen hatte es oft mit dem Alten gegeben. Immer hatte er entweder Angst oder Scham für den Alten empfunden. Dazwischen hatte es wenig gegeben. Jedenfalls konnte er sich an nichts erinnern.
    Zum ersten Mal aber brauchte er sich bei dem bevorstehenden Besuch darüber keine Gedanken zu machen.
    Ein älteres Paar, beide weißhaarig mit Gehhilfen, setzte sich ihnen gegenüber. Die alte Frau wickelte raschelnd Sandwiches aus Butterbrotpapier. Einen Moment lang beobachteten sie schweigend die Szene.
    »Wann hast du Tante Agnes zum letzten Mal gesehen?«, fragte Tim dann.
    Dereks Antwort überraschte ihn. »Vor vier Wochen hat sie Mom besucht, wir waren zusammen essen.«
    Er schwieg dazu. Dann gab er sich einen Ruck und holte den Umschlag aus dem Koffer.
    »Die Scheidungspapiere … Gibst du sie deiner Mutter?« Er bemühte sich um einen beiläufigen Ton.
    »Ja, natürlich.«
    Eine Ansage schnarrte laut durch das Terminal. Das Boarding würde in fünf Minuten beginnen.
    Den Sitz zwischen sich ließen sie frei. Derek legte einen Stapel Magazine darauf ab und fing noch auf der Rollbahn an, in einem Drehbuch zu lesen.
    Tim sah sich um. Der Flieger war spärlich besetzt. Die meisten Passagiere älter als er. Als das Flugzeug schwerfällig abhob, wurde ihm klar, dass er seit Jahren nicht geflogen war.
    Wohin war er zuletzt geflogen? New York? Zu Larry Greenblatts Hochzeit vor acht Jahren? Nein, da war der Flug mit Liz an die Ostküste. Als sie Derek in Princeton besucht hatten.
    Er schloss die Augen. Müde vom sanften Brummen der Triebwerke. Wenig später erwachte er mit einem Ruck.
    »Kaffee?« Auch die Stewardess sah müde aus.
    Er schaltete den kleinen Bildschirm vor sich an. Flugroute. Sie befanden sich noch über Arizona, hatten gerade Phoenix hinter sich gelassen.
    Derek legte das Drehbuch zur Seite und rieb sich die Augen. »Lebt dein Onkel Jake noch? Oder wie hieß Grandpas Bruder?«
    Tim dachte angestrengt nach. »Jim. Jake und Jim leben beide noch, soweit ich weiß.«
    Sein Vater war der mittlere Sohn von dreien gewesen. Tim wusste nur, dass Jims Frau letztes Jahr gestorben war.
    »Und von Grannys Seite lebt nur noch Donald, oder?«
    Onkel Donald hatte er vollkommen vergessen. Der dünne,

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