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Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition)

Titel: Allmählich wird es Tag: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Potente
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aufrechte alte Mann mit dicker Hornbrille. Große Hände, große Füße und Segelohren, über die sich sein Vater nach einigen Flaschen Bier immer lustig gemacht hatte. Donalds Frau hieß Esther, wenn er sich nicht irrte.
    Da sein Vater ständig mit der gesamten Familie im Clinch lag, hatte er Onkel und Tanten selten gesehen. Nur Liz hatte über Agnes Neuigkeiten erfahren. Gehört, wer wann verstorben war. Ihn hatte es nie wirklich interessiert.
    Unter ihnen New Mexico. Wolkentürme. Turbulenzen. Sie mussten sich anschnallen.
    Derek streckte die Beine aus. Er massierte sich den Nacken. Lehnte sich zu Tim herüber. »Was Mom und dich angeht … ich versuchte, mich da rauszuhalten. Das ist eure Sache.«
    »Verstehe.«
    Derek sprach leise, sah ihn direkt an. »Ich habe mir die letzten Wochen echt Sorgen um dich gemacht.«
    Überraschend füllten sich Tims Augen mit Tränen, er war gerührt. Oder so etwas Ähnliches. Verdammt.
    Derek schien zu warten.
    »Ist alles nicht so einfach gerade. Ich … muss mich daran gewöhnen, dass jetzt vieles anders ist. Und das ist nach so vielen Jahren nicht so einfach, verstehst du?« Seine Stimme klang rau.
    Derek sah ihn lange an, dann nickte er.
    Arkansas empfing sie mit grauen Regenwolken.
    Es war bereits mittags, zwei Stunden Zeitunterschied. Sie holten sich auf dem Weg zum Ausgang Kaffee und Sandwiches.
    »Welcome to Little Rock!« Auf dem Schild viel Wald und Grün. Tims Magen zog sich zusammen.
    Das war bei jedem Besuch zu Hause so gewesen. Jetzt kam ein Gefühl von Unsicherheit dazu. Er hatte wenig Erfahrung mit dem Tod. Vor allem aber wusste er nicht, was er seinem Vater gegenüber empfinden sollte. Was ihn im Krankenhaus erwartete.
    Während Derek die Papiere für den Mietwagen unterschrieb, rauchte er vor dem Avis-Gebäude eine Zigarette. Er zog so heftig, dass die Hälfte der Kippe nach kurzer Zeit nur noch aus roter, heißer Glut bestand.
    Die Fahrt zum Krankenhaus nach Harrison würde etwa zweieinhalb Stunden dauern. Dort würden sie Agnes treffen. Erschöpft blies er den Rauch ins kühle Grau. Spürte erste Regentropfen auf dem Gesicht.
    Derek hatte sich bereit erklärt zu fahren. Sie umfuhren den Stadtkern. Man konnte von Weitem das Capitol sehen. Ein Stückchen braunen Arkansas River. Derek drehte das Radio leiser. »Wie lange hast du in Little Rock gewohnt?«
    »Nur ein Jahr, 1977 bis 1978.«
    Wald, hügelige Wiesen und Äcker zogen vorbei. Billige Stripmalls, Fast-Food-Restaurants und verrottende Billboards, die trostlos am Wegesrand standen und Restaurants bewarben, die es seit Jahren nicht mehr gab.
    Irgendwann klarte der Himmel auf.
    Gerne hätte er ein wenig geschlafen, aber das Ziehen im Magen, die Unruhe, was die kommenden Tage bringen würden, hielten ihn wach.
    Derek telefonierte hin und wieder leise mit seinem Headset. Irgendwann legte er es beiseite. »Eigentlich landschaftlich schön hier. Oder?«
    »Hm.«
    »Wieso bist du damals nach L.A. gegangen?«
    Gute Frage. Er überlegte. Wie war das gewesen?
    »Ein Kumpel von mir war da und hat vom Strand, der Sonne und Mädchen in kurzen Shorts erzählt. Ich wollte unbedingt raus aus dieser grauen, kalten Suppe hier.«
    Derek lachte. »Verstehe. Und was hat Grandpa dazu gesagt?«
    Er war damals ohne ein Abschiedswort gegangen. Nachdem er sich die Nacht über in seinem Zimmer eingeschlossen hatte, weil der Alte unten tobte, hatte er um sechs Uhr früh die Tasche geschultert und war nach Little Rock getrampt.
    Alfie war der Einzige, der von seinem Umzug nach Los Angeles wusste. Später hatte Tim Agnes eine Karte geschrieben.
    »Der hat das gar nicht mitbekommen.«
    Er starrte auf die vorbeiziehende Landschaft. Auf was für eine lieblose Beziehung er zurückblickte. Er wusste gar nichts von seinem Vater, sein Vater nichts von ihm, sie waren sich bis heute fremd geblieben.
    Was tat er hier? Wahrscheinlich wollte ihn der Vater gar nicht sehen. Würden sie »letzte Worte« miteinander wechseln? Würde Tim seine schwache Hand drücken, um ihn in Frieden gehen zu lassen? Er hatte keine Ahnung, was passieren würde. »Was denkst du, soll ich tun? Wie nehme ich Abschied von jemandem, den ich nie geliebt, nicht mal gekannt habe?«
    Nach einer kurzen Stille sagte Derek: »Ich glaube, das ist alles egal. Verabschiede dich einfach.« Er zuckte mit den Schultern. »Weißt du, als ich letztens zu dir kam, war ich sauer und enttäuscht. Ich kam, um dir zu sagen, dass ich eine Weile Abstand brauche, kein Golf, keine Anrufe und

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