Allmen und die Dahlien (German Edition)
Serviette umgebunden und führte zwischen den Bissen sein tonloses Selbstgespräch weiter. Er aß winzige Portionen des Abendmenüs – Poularde mit Kroketten und Erbsen – und nippte ab und zu an seinem Wein, dessen Flasche ebenfalls eine Zimmernummer trug.
An einem Fenstertisch mit zugezogenen Vorhängen thronten zwei alte Damen, deren Mineralwasserflaschen – eine mit und eine ohne – ebenfalls mit runden Klebern versehen waren. Als Allmen eingetreten war, aßen sie bereits das Dessert. Die eine war hager, die andere mollig, aber ihren Gesichtern sah man an, dass sie Schwestern waren. Beide hatten Sieben-Tage-Pillendosen neben dem Teller, aus denen sie sich nach der Nachspeise konzentriert bedienten. Allmen nahm an, dass es sich auch bei den alten Schwestern um Dauergäste handelte.
Außer dem russischen und dem heimlichen Paar gab es noch vier Geschäftsleute, die sich in schlechtem Englisch mit unterschiedlichem, starkem Akzent unterhielten, einen jungen Mann, der während der ganzen Mahlzeit auf sein iPad starrte, eine asiatische Mutter mit ihrer halbwüchsigen Tochter und einen hohlwangigen, gutaussehenden Mann um die vierzig, der auf Schweizerdeutsch einen Campari Soda bestellte und sagte, er warte noch auf jemand.
Allmen hatte Tournedos Rossini bestellt, er fand, das passe gut zu einem Grillroom. Es gab nichts daran auszusetzen und wurde serviert mit Gratin Dauphinois und zwei Bündelchen Bohnen, die mit einem Streifen Speck umwickelt waren. Diese rührte er nicht an. Sie erinnerten ihn dann doch zu sehr an die protzigen Landgasthöfe, in die ihn sein neureicher Vater an Sonntagen manchmal ausgeführt hatte.
Die beiden Schwestern verließen das Restaurant. Die Mollige voraus an zwei Stöcken, die Dünne dahinter mit beiden Handtaschen. Der andere Dauergast unterbrach sein Selbstgespräch, blickte ihnen nach und machte eine wegwerfende Handbewegung. Dann nahm er das Gespräch mit dem unsichtbaren Tischgenossen wieder auf.
Ein Kellner schenkte Allmen nach und räumte ab. »Darf ich Ihnen die Dessertkarte bringen?«, fragte er. Er hatte dichtes, krauses blondes Haar wie der Geißenpeter, was einen seltsamen Kontrast zu seinem faltigen Gesicht bildete.
Allmen bestellte etwas Käse. Er hatte vor, die Zimmernummer auf der Flasche überflüssig zu machen.
Die Akkorde des Pianos drangen aus der Bar herein, das gedämpfte Gemurmel der Gäste wurde manchmal übertönt vom Auflachen der radebrechenden Geschäftsleute. Allmen befiel ein Wohlbehagen, das seiner Aufgabe als Detektiv ein wenig unangemessen war.
Als Nächstes ging das heimliche Paar, eilig und erwartungsvoll. Einer der Geschäftsmänner brachte mit einer Anzüglichkeit seine Runde zum Lachen.
Mutter und Tochter stritten sich jetzt mit gedämpften Stimmen auf Mandarin. Das russische Paar saß sich stumm gegenüber und wartete auf den nächsten Gang. Sie starrte auf ihre Hände, die neben dem Platzteller lagen, er trank Bier in großen Schlucken. Der junge Mann tauschte den leeren Teller mit dem iPad und begann zu tippen. Der Gutaussehende hatte das Warten aufgegeben und aß jetzt gereizt ein Entrecôte und einen gemischten Salat. Der alte Dauergast saß bewegungslos in sich zusammengesunken in seinem Stuhl, als wäre er zwischen zwei Bissen gestorben.
Der Käsewagen war klein, aber die Auswahl gepflegt. Nicht zu frisch, nicht zu reif und nicht zu kühl. Allmen unterbrach seine Beobachtungen und genoss die immer wieder unnachahmliche Symbiose von reifem Käse und schwerem Wein.
Bis er von einer Unruhe am Tisch des alten Dauergastes gestört wurde. Zwei Kellner und der Barkeeper standen um den Tisch herum. Der Nachtportier kam herbeigeeilt. »Herr Frey«, rief einer. »Hallo, Herr Frey? Ist Ihnen nicht gut?«, ein anderer.
Die Gäste blickten neugierig zu der Ansammlung hinüber. Der gutaussehende Versetzte stand auf, drängte sich durch, machte sich fachmännisch an Herrn Frey zu schaffen, schüttelte den Kopf, sagte etwas zum Chef de Service und führte ein kurzes Telefongespräch. Der Chef de Service gab einem Kellner eine Anweisung, dieser entfernte sich und kam gleich darauf mit einem Tischtuch zurück.
Sie breiteten es über Herrn Frey aus.
11
Der Grillroom war geräumt worden, die Gäste wurden in der Bar bedient.
Allmen hatte keine Lust auf Gesellschaft, aber er brauchte einen Armagnac. Er trank ihn allein in der menschenleeren, halbdunklen Eingangshalle in einer kleinen Polstergruppe.
Aus einer Tür neben dem Aufzug mit der
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